Mein lieber Mann, da war aber jemand wütend. Herr S., ehemals „Lindwurm“, ist ja schon im deutschen Metal ein kleines Unikat, da er all seine Veröffentlichungen zum kostenlosen Download auf seiner Webpräsenz zur Verfügung stellt. Eine außergewöhnliche Strategie, befürchten doch gerade größere Bands durch Filesharing und Download-Portalen weniger Umsatz in dem umkämpften Genre zu machen. Nun, Herr S. setzt es für seine Zwecke ein, nämlich sein Ein-Mann-Projekt CYNICISM bekannter zu machen. Sein neues Werk „A Taste Of Hate“ sollte aber meine erste Begegnung mit dem Sänger, Texter, Multiinstrumentalisten und Produzenten sein. Dass der Titel das wiedergibt, was er verspricht, sollte diejenigen aufhorchen lassen, die auf einen Mix aus Metal jeglicher Stilrichtungen mit Gothic-, Darkwave- und NDH-Impfung stehen und auch keine Angst vor plötzlich auftretenden Elektro-Samples und Hardcore-Gebrüll haben.
Ein Freigeist ist also Herr S.. Nachdem der Vorgänger „The Path Of Self-Sacrificing Destruction“ eine eher düstere Gothic/Doom-Scheibe war, verabschiedet er sich diesmal vom vorerst eingeschlagenen Kurs und was er allein aus „A Taste Of Hate“ geschaffen hat, man man man… Man könnte meinen, es hier mit einem Quintett zu tun zu haben, da der Sound dermaßen aus den Boxen ballert und sich die Vocals zwischen überschichtetem, klaren, anklagenden, aber ebenso aggressiven Hardcore-Shouts und Death Metal-Vocals ansiedeln. Zudem sind die Instrumente so differenziert und mit eigener Note eingespielt – ganz ehrlich, ich kenne keine Ein-Mann-Band, die etwas so Ausgeklügeltes und Ausgearbeitetes herausgebracht hat. Textlich geht es, wie schon der Titel verrät, um jegliche negativen Gefühle oder Situationen im Leben, die eben jene hervorrufen. Dass „A Taste Of Hate“ ein sehr persönliches Album zu sein scheint, merkt man auch nicht zuletzt durch S.‘ Fähigkeit, entweder stimmlich wutentbrannt auszubrechen oder den empfindsamen Melancholiker zu mimen – fällt jedoch selten in kitschiges Selbstmitleid. Leider kommen manchmal plötzlich eingesetzte Spielereien mit den Synthesizers, den überschichteten Vocals oder auch einige Gitarren-Soli, wie bei „Clenched Fists“, auf, was zu manchen Songs nicht so recht passen will und den Song als Ganzes stört. Von diesem subjektiven Eindruckt abgesehen, gibt es definitiv nichts an der Spielfähigkeit auszusetzen. Der Mann hat Erfahrung und weiß, was er macht und ich kann nicht umhin zu denken, dass es ihm eh egal ist, was andere über seine Musik denken. Dafür entspricht „A Taste Of Hate“ einfach zu sehr der Punk-Attitüde „FUCK OFF“.
Ein besonderes Highlight dürfte dafür die Cover-Version des 80er Jahre-Klassikers „Twist In My Sobriety“ von der britischen Sängerin Tanita Tikaram sein. Da ich eh der Meinung bin, dass man diesen einzigartigen Song, der wochenlang trotz seiner zutiefst melancholischen Stimmung in den Charts war, garnicht gerecht covern kann, sollte man S. trotzdem Respekt für seinen Mut zollen. Obwohl der Anfang mit den leichten Synthies und New Wave-Gefühl ein gelungenes Cover verspricht, haut es aber gerade nicht mit dem Wichtigstem, dem Refrain, hin – leider zu fröhlich und stimmlich zu aggressiv ausgefallen. Hätte er den mit der Stimmung von „The Path Of Self-Sacrificing Destruction“ aufgenommen – das hätte wohl selbst den härtesten Metaller vom Barhocker gehauen.
Aber nun gut, letztendlich kriegt man bei den 12 Songs eine Unmenge an unterschiedlichen Songs geboten, die kompositorisch für den nicht zu definierenden Stil mit Eigennote sehr gut sind, aber auch ein Auseinandersetzen mit der Materie erfordert, um CYNICISM ansatzweise zu verstehen und zu mögen. Mir war es auf Dauer zu anstrengend, sodass nach der ersten Halbzeit erstmal Pause angesagt war. An sich kann ich „A Taste Of Hate“ auch nicht als zusammenhängendes Werk empfinden, oft erscheint es mir wie ein Sampler. Verflixt noch eins, obwohl es endlich mal eine Veröffentlichung ist, die nicht nach dem 08/15-Schema komponiert ist. Eigentlich eine nicht zu erwartende Wirkung: schließlich ist der Drahtseilakt zwischen Zerstörungswut und Melancholie durchaus gelungen und wird sowohl dem Metaller wie auch dem Gothic-Anhänger munden. Wer sich nicht auf ein Musikgenre versteift und alles, was irgendwie offensive Gefühle musikalisch offenbart, auch ebenso offen gegenüber steht, sollte nicht zögern und auf der Webseite „A Taste Of Hate“ downloaden – der Geschmack des Hasses ist definitiv beim ersten Abspielen garantiert.
Kommentare
Sag Deine Meinung!