Kamborn ist ein beschaulicher Ort im westfälischen Idyll, der jedoch vor uralten Geheimnissen zu bersten scheint. Dieses fiktive Städtchen, ähnlich der Lovecraft-Kreation Arkham, bildet die Kulisse für eine Reihe originär deutscher Abenteuer für das Horror-Rollenspiel CTHULHU. Nach dem „Königsgambit“ und dem „Bauernopfer“ ist „Zugzwang in Kamborn“ der dritte Band dieser Reihe von Szenarienbänden.
Irritierenderweise wird diese Vorgeschichte im vorliegenden Softcover nicht erwähnt. Zwar ist knapp davon die Rede, dass die Abenteuer an die bisherigen Geschichten rund um Kamborn anknüpfen können, die Namen der Vorgängerbände oder überhaupt irgendeine zusammenfassende Einordnung in das Gesamtgeschehen sind nicht enthalten. Es wird also davon ausgegangen, dass die Leser*innen bereits wissen, worum es geht und welche weiteren Veröffentlichung zur Reihe gehören.
Wer jedoch im Bilde ist, findet sich schnell zurecht. Bekannte Charaktere aus Kamborn und die möglichen sie betreffenden Handlungsstränge werden zu Beginn des Bandes aktualisiert. Dadurch wird es einfacher, eine fortlaufende Kampagne in der fiktiven Kleinstadt im Jahr 1924 weiterzuführen.
Die Fäden der Nornen umspannen Kamborn
Herzstück von „Zugzwang in Kamborn“ sind jedoch die beiden neuen Szenarien. „Schicksalsfäden“ reißt die Charaktere zunächst in eine geradlinige Reihe von Ereignissen, die wenig Handlungsfreiheit erlauben. Dies ist jedoch ganz bewusst so von Autor Kaid Ramdani gewählt worden. Die im ersten Teil des Abenteuers erhaltenen Informationen sind hilfreich für die Ermittlungen im weitaus freier gestalteten zweiten Teil des Szenarios.
Dabei ist vor allem die Einbindung alter Mythen gut gelungen. Die titelgebenden „Schicksalsfäden“ der germanischen Nornen und Parzen ziehen sich durch die Handlung und durch die Zeit. Dadurch entsteht das Gefühl, nicht einfach nur ein lokales Mysterium zu ergründen, sondern tatsächlich den die Jahrtausende umspannenden Plan eines Großen Alten durchkreuzen zu können. Diese Epik fühlt sich niemals fehl am Platz an, sondern gewinnt durch die Zerbrechlichkeit der CTHULHU-Charaktere nur an Intensität.
Gefährliche Kulte hinter frommer Maske
„Das Bergmann-Vermächtnis“ von Steffi Hefner wirkt auf den ersten Blick deutlich bodenständiger, birgt in sich aber ebenfalls brodelnden kosmischen Schrecken. In diesem Abenteuer wird sehr gut eingefangen, welche Bedrohung radikale Kulte in kleinen Orten entfalten können. Dass dahinter in diesem Fall tatsächlich eine übernatürliche Gefahr schlummert, die von den Charakteren abgewehrt werden muss, verleiht der Geschichte eher nur zusätzliche Würze.
Die eigentliche Spannung beruht auf dem fast schon paranoiden schwelenden Konflikt mit einem charismatischen Prediger, der für sich allein bereits den Frieden bedroht. In diesem offen gestalteten Szenario gilt es, durch Hinweise das Grauen hinter der religiösen Maske zu enthüllen. Dass dies am Ende trotzdem in einem klassischen Finalkampf aufgelöst wird, mag den vorhergehenden Ermittlungen ein bisschen ihren Sinn nehmen, macht auf dem Weg dahin aber viel schaurigen Spaß.
Unverbrauchte Themen trotz Kleinstadt-Muff
Was die Szenarien angeht, ist „Zugzwang in Kamborn“ der bisher stärkste Band der Reihe. Die Autor*innen haben es inzwischen raus, die kleinstädtische Kulisse im Westfalen der 1920er zu nutzen und servieren spannende Abenteuer. Wer jedoch zum Beispiel die Gesamtübersicht von Kamborn samt Karte braucht, muss dafür auf „Königsgambit in Kamborn“ zurückgreifen. Auch in diesem Punkt wäre zumindest eine kurze redaktionelle Einordnung in die Reihe sinnvoll gewesen.
Das tut der Qualität der Geschichten jedoch keinen Abbruch. Sie sind gutgeschrieben, sinnvoll für die Spielleitung vorbereitet, funktionieren auch perfekt als eigenständige Abenteuer und gehören zu den besten deutschen Szenarien der vergangenen Jahre. Vor allem bestechen sie durch unverbrauchte Themen und die stimmungsvolle Einbindung in das eigentümliche Setting zwischen Tradition und Moderne, germanischen Mythen und modernen Religionen.
Der Soundtrack für Schachpartien in Kamborn: KING DUDE – Death / URSULAR – Preta / FLIGHT – Echoes of Journeys Past
Würfeln und blättern, statt lauschen und headbangen – In der Rubrik „Dice ‚em All“ stellen wir euch ausnahmsweise keine Musik vor, sondern Rollen- und Brettspiele.
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