„Eiskalte Ernte“ spielt in der Sowjetunion des Jahres 1937. In den vergangenen Jahren wurden tausende Menschen von der stalinistischen Regierung ermordet oder diffamiert, viele ungezählte mehr enteignet, inhaftiert und deportiert. Durch die Zwangskollektivierung der Landwirtschaft entstanden neue Siedlungen in zuvor unbewohnten Landstrichen. An einem dieser Orte regt sich durch die Ankunft der neuen Bewohner ein uralter Schrecken. Doch nicht nur er bedroht das Dorf, sondern auch die Grausamkeit der sowjetischen Behörden.
CTHULHU trifft auf stalinistischen Terror
Dieses Szenario für das Horror-Rollenspiel CTHULHU konfrontiert die Spieler mit menschlichen Abgründen. Sie schlüpfen in die Rollen von Agenten des Volkskommissariats für Innere Angelegenheit (NKWD) und sollen herausfinden, warum die Produktivität eines abgelegenen Sowchos, eines staatlichen landwirtschaftlichen Gemeinschaftsbetriebes, so drastisch gesunken ist. Ein alternativer Einstieg beauftragt die Spielfiguren mit der Verhaftung einer Familie, die von den anderen Bewohnern für den Produktionsabfall verantwortlich gemacht und denunziert wird.
Hinter den Vorkommnissen steckt natürlich ein kosmisches Grauen, das dem Leiden der Menschen indifferent gegenübersteht. Die Emotionen, die es bei den Betroffenen weckt, sind dafür umso härter. Da eine Familie besonders stark unter der unbegreiflichen Macht leidet, wird sie diffamiert und gemieden. Die Furcht, gemeinsam für das Versagen der Landwirtschaft bestraft zu werden, stachelt die Bewohner des Sowchos zu einem unbarmherzigen Überlebenskampf an.
Tatsächlich stellt „Eiskalte Ernte“ den Spielfiguren durch ihre besondere Rolle als Volkskommissare auch grausame Lösungsmethoden zur Verfügung. So steht es in ihrer Macht, nicht nur die denunzierte Familie zu verhaften, sondern im Extremfall auch das gesamte Dorf zu exekutieren. Das Szenario ist in dieser Hinsicht sehr offen gehalten, in diesem Zusammenhang aber nur erfahrenen Spielern zu empfehlen, die entweder das Fingerspitzengefühl besitzen, solche Situationen zu meistern oder sich bewusst in diese moralische Grauzone begeben wollen.
Kosmisches und menschliches Grauen treffen in „Eiskalte Ernte“ auseinander
Generell ist „Eiskalte Ernte“ sehr offen gestaltet. Einige Ereignisse sind vorgegeben, aber im wesentlichen können die Spieler das Dorf frei erkunden und die Ermittlungen so führen, wie es ihnen beliebt. Wichtige Orte und Personen sind in ausreichender Menge von Autor Chad J. Bowser beschrieben worden, um zwei bis drei Spielabende zu füllen. Dabei steht die zunehmende Konfrontation mit dem Etwas im Vordergrund, das hinter dem Leiden der Dorfbewohner steckt.
Die Impulse jedoch, was während der Ermittlungen geschehen kann, sind bisweilen etwas uninspiriert oder wirken aufgesetzt. Die Spielleitung muss in diesen Punkte einige Vorarbeit investieren, damit das Szenario sich nicht nur aus drögen Verhören zusammensetzt, die manchmal von schaurigen Vorkommnissen unterbrochen werden. Eine gründliche Ausarbeitung kann aber dafür sorgen, dass ein unheilvoller, lovecraftscher Sog die Spielfiguren in ihren Bann schlägt und ihnen keine andere Wahl lässt, als sich dem Grauen zu stellen – und sei es ihre eigene dunkle Seite.
Wer richtig viel Arbeit in das Szenario steckt, könnte auch ermöglichen, dass die Spielfiguren selbst Dorfbewohner sind oder zumindest zum Teil in dem Sowchos leben, während ein andere Teil die Agenten stellt. Dadurch kann eine deutlich bedrückendere Stimmung entstehen. Denn den Volkskommissaren bleibt immer die Möglichkeit, den Schauplatz zu verlassen, wohingegen die Dorfbewohner an ihn gebunden sind.
Ein offen gestaltetes Szenario mit schwierigen Entscheidungen
„Eiskalte Ernte“ ist ein interessantes Szenario, das sich aber nur für erfahrene Spieler und Spielerinnen eignet. Dies liegt aber nicht in einer besonders hohen inhaltlichen, sondern rollenspielerischen und moralischen Komplexität begründet. Wer sich auf die Rolle als Volkskommissar einlässt, steht schnell vor schwerwiegenden Entscheidungen in einer ungerechten Welt. Etwas Vorarbeit vorausgesetzt, kann „Eiskalte Ernte“ zu einem intensiven Rollenspiel-Erlebnis werden, auch wenn das Szenario diesen Tiefgang stets nur anschneidet.
Eure Soundtrack für den eiskalten Ausflug: MARIANAS REST – Fata Morgana / PALLBEARER – Forgotten Days / MURG – Strävan
Würfeln und blättern, statt lauschen und headbangen – In der Rubrik „Dice ‚em All“ stellen wir euch ausnahmsweise keine Musik vor, sondern Rollen- und Brettspiele.
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