Wer spontan Lust auf eine Runde CTHULHU hat, kann auf einen reichhaltigen Fundus an Szenarien zurückgreifen, die mit vorgefertigten Charakteren ausgestattet sind. „Ein Abend mit dem Grauen“ versammelt fünf Geschichten, für die im Vorfeld keine neuen Spielfiguren erstellt werden müssen. Von der Geldadel-Familie bis zu Sekten-Mitgliedern, vom Japan um 1900 bis zum mysteriösen Ferienlager ist alles mit dabei.

„Ein Abend mit dem Grauen“ führt an verschiedenste Schauplätze

Japan um 1900? Dabei handelt es sich um „Die Träumer von Kaliyama“, das die Charaktere durch lineare wie tödliche Traumwelten führt. Japanische Folklore ist zumindest solide in das Szenario eingebaut, die beiliegenden Spielfiguren sind allerdings herrlich spießige wilhelminische Deutsche. Diese werden mit ihrem inneren Konflikten konfrontiert und können nebenbei noch ein kleines Bergdorf retten. Dieses Abenteuer besticht durch eine dichte Atmosphäre, eine leicht melancholische Note mit einer Prise Action und wunderbaren Musiktipps, denen nichts hinzuzufügen ist.

„Mutter“ versetzt die Spielrunde in die 1920er und in die Situation einiger Sektenmitglieder, die langsam merken, dass hinter den verheißungsvollen Ritualplänen ihrer Gruppe eine echte Bedrohung steckt. Zwischen Skeptizismus und Fanatismus bietet dieses Szenario großes Potential für Konflikte zwischen den Charakteren. Wer Lust hat, sich im Rahmen eines One-Shots auf einen gespielten Zwist am Spieltisch mit allen bitteren Konsequenzen innerhalb der Geschichte einzulassen, wird hier vollends fündig.

Klassisch investigativ geht es hingegen bei „Alles Gute, Opa Zeus!“ zu. Die Enkelkinder eines alten reichen Mannes müssen in einem abgelegenen Anwesen unverhofft einen Mord aufklären. Die eigene Verwandtschaft wird schnell zu den Hauptverdächtigen und es bliebt natürlich nicht nur bei einer Leiche. Trotz des ernsten Hintergrundes kann dieses Szenario mit verschrobenem Charme gespielt werden und sollte es vielleicht auch. Zu den vorgefertigten Spielfiguren gehören nämlich auch ein 14- und ein 10-jähriges Mädchen. Abgesehen davon, das deren Darstellung an sich schon eine Herausforderung sein kann, möchte man solche Charaktere wahrscheinlich nicht unbedingt in den Tod führen.

Zwischen Weltenrettung und Sommerurlaub

In „Graue Wurzeln“ geht es hingegen richtig zur Sache. Wer schon einmal in Altenbeken den Zug gewechselt hat, weiß, dass Paderborn am Rand der Welt zu liegen scheint. Da ist es nur passend, dass sich hier das Schicksal des Erdballs entscheiden wird. In diesem Szenario finden sich die Charaktere zunächst ohne Gedächtnis in einer Höhle wieder, was die reizvolle Idee ermöglicht, die vorgefertigten Spielbögen zufällig in der Runde zu verteilen. Kommt die Erinnerung wieder, beginnt ein zunehmend bizarrer werdender Konflikt mit monströsen wie undurchsichtigen Gestalten, die sich nur schwer in Freund und Feind unterscheiden lassen. Dieses vielschichtige Abenteuer erfordert zwar von allen Szenarien im Band am meisten Vorbereitung, bietet aber auch eine packende Story, garniert mit der genau richtigen Prise kosmischen Grauens.

„Camp Sunny“ wirkt im Gegensatz dazu auf den ersten Blick schon fast bodenständig, übernimmt die Spielrunde hier doch die Rolle junger Menschen, die sich mit der Betreuung eines abgelegenen Ferienlagers ein paar Dollar dazuverdienen wollen. Dabei geraten die Spielfiguren zunehmend in den Bann unmenschlicher Kräfte, was auch zu erzwungenen sexuellen Kontakten führen kann. Wenn diese mögliche Entwicklung im Vorfeld mit der Spielrunde geklärt wird und sich alle auf diese Story einlassen, entfaltet sich ein offenes und hintergründig düsteres Abenteuer vor lockerer Sommerlager-Kulisse.

Spezielle Themen für alte Hasen

Bewertet man „Ein Abend mit dem Grauen“ gemessen an seinen Ansprüchen, ist der Band sehr gut gelungen. Die Szenarien machen allesamt einen guten Eindruck und bieten jeweils eine interessante Auswahl an vorgefertigten Charakteren. Da die verschiedenen Geschichten ganz unterschiedliche Stimmungen wie Hintergründe bieten, ist zwar für jeden Geschmack was dabei, aber eben auch die Gefahr gegeben, dass einige Spielrunden nicht mit allen der Szenarien etwas anfangen können.

Doch gerade diese Abwechslung zeichnet den Band aus. Verschiedenste Facetten von CTHULHU vom investigativen Plot, über grenzwertige Themen bis hin zu apokalyptischen Bedrohungen kann man zwischen den Buchdeckeln alles finden. Zum Einstieg in des System sind diese Szenarien aber trotz der vorgefertigten Charaktere nur bedingt geeignet, eben weil es größtenteils um sehr spezielle Themen und mitunter auch um rollenspielerische Herausforderungen geht. Alte Hasen finden in „Ein Abend mit dem Grauen“ aber genug Stoff für mindestens fünf spontane wie auch unvergessliche Spielabende.

Den Soundtrack für jeden Geschmack bieten euch diese Alben aus verschiedenen Genres, die mit Bestnoten geadelt wurden: SULPHUR AEON – Seven Crowns and Seven Seals / SORCERER – Reign of the Reaper / ALKALOID – Numen

Würfeln und blättern, statt lauschen und headbangen – In der Rubrik „Dice ‚em All“ stellen wir euch ausnahmsweise keine Musik vor, sondern Rollen- und Brettspiele.