Crippled Black Phoenix - Great Escape

Review

Jaja, ich weiß, wir sind spät dran mit CRIPPPLED BLACK PHOENIX und deren neuester Veröffentlichung „Great Escape“. Geduld muss man aber auch bei ihrem neuen Album haben. Die Post-Rocker um Justin Greaves melden sich zwei Jahre nach „Bronze“ zurück. Flucht vor was oder wem? Laut Aussagen und Vergangenheit von Greaves vor allem vor sich selbst, hat er die Öffentlichkeit doch  kurz vor Veröffentlichung von „Bronze“ an seinem „schwarzen Hund“ teilhaben lassen. Aber auch die Gesellschaft und das Leben selbst bekommen textlich ihr Fett weg.

„Great Escape“ flüchtet sich in musikalische Erzählungen…

Was gibt’s neues bei den Briten, könnte man nun fragen? Eigentlich nicht viel, bis auf kleine Korrekturen im Sound, die sich am prominentesten als ein (wieder-) gefundener Spaß an elektronischen Sounds und Samples äußern – da tönt dann schon mal Alan Watts im Intro und auch später wieder aus den Lautsprechern. Sie äußern sich aber auch beim Wiederentdecken von PINK FLOYD und den Versuchen an Soundtrack-Dramatik a la Ennio Morricone. Der Rest  bleibt zwischen dynamischem Post-Rock und weiten Ambient-Klanglandschaften, in denen manche Hörer sich verlieren, und andere Hörer schlicht nicht rein oder wieder raus finden werden. Im Gegensatz zum Vorgänger orientiert man sich weniger an geerdetem, dreckigem und harten Gitarrensound und baut sehr viel mehr Platz zum „Atmen“ ein, was sich auch in höherem Ambient- und Instrumentenanteil abseits der klassischen E-Gitarren äußert.

Zum Start darf in  „You Brought It Upon Yourselves“ schon ein eingangs erwähnter Alan Watts ein paar monierende Zeilen über den Zustand der Gesellschaft verlieren, während Ambient-Passagen die stimmungsvolle Unterlage bilden. Das geht nahtlos in den ersten, recht ruhigen und leicht melancholischen Rocker „To You I Give“ über, der nach über 8 Minuten zum Schluss dann ausbricht und auch zwischendrin mit rudimentären Pianopassagen aufwarten kann. „Madman“ hat nach einer mit großen Orgelsynthies und einfacher E-Gitarre ausgestatteten Übergangsphase („Uncivil War (Pt. I)“) den nostalgischen Finger auf den Achtziger-Synthies.

„Times, they are A-changing“ lässt ein wenig Soundtrack-Atmosphäre aufkommen, die sich auch gut in so manchem Western gemacht hätte. Das fängt bei den einleitenden Keyboards an, geht an den zu Mitte des Songs einsetzenden, harten Gitarren weiter und mündet dann in eine kleine Melodie, die von der Gitarre angefangen wird und dann von Piano, Streichern und schlussendlich sogar Akkordeon als Fade-out aufgenommen wird! Von solchen starken Momenten hätte ich mir zugegebenermaßen ein wenig mehr gewünscht. Denn leider sind solche Brocken an Musik auch immer ziemliche Geduldsproben, die hin und wieder gerade in den ruhigeren, mäandernden Parts die Augen manchmal zur Skiptaste schielen lassen.

… und offeriert eine große stilistische Bandbreite…

Wie schon auf dem Vorgänger beglückt uns auch auf „Great Escape“ wieder Belinda Kordic auf „Rain Black, Reign Heavy“ und „Nebulas“. Während erster auch eher gemächlich ist und dank Akkordeon, Trompete und Co. beinahe schon so etwas wie Country-Atmosphäre aufkommen lässt , ist zweiter Song eine kleine, poppige Hymne im verträumten Shoegaze-Kleid an den Tierschutz – und erinnert damit beinahe an so etwas wie fröhliche (DOLCH), sollte es so etwas in irgendeiner bizarren Parallelwelt existieren.

Getrennt werden die zwei von dem Instrumental „Slow Motion Breakdown“: Der Name ist Programm, es wird mit Synthesizern gestartet, langsam Stimmung aufgebaut, bis in der Mitte des Songs die Gitarren dann die Spannung aufzulösen vermögen und stimmungsvoll solieren dürfen, nur um mit Jahrmarktgedudel auszuläuten. Die stilistische Bandbreite macht es zuweilen tatsächlich schwer, adäquat zu beschreiben was gerade passiert. „Las Diabolicas“ startet mit wüst schimpfendem Sample und nimmt etwas Fahrt auf, auch hier kommen wieder Synthesizer und sogar auch Vocoder dazu, stellenweise erinnert es in Melodieführung an GHOST in weniger poppiger Variante.

… die manchmal ein wenig lang und schwerfällig wirkt.

Das Schlussdoppelpack „Great Escape“ mit den Parts I und II lässt dann PINK FLOYD wie nach Anleitung durchexerzieren: Hammondorgel, psychedelische, verträumte Passagen, majestätisch vorwärts schreitendes Riffing, Trompete und Gitarren mit Melodien, die nach Lagerfeuerromantik klingen, lassen die eingangs erwähnten Ennio Morricone-Vibes aufkommen. Enorme Variation, dramatischer Songaufbau, aber im Gesamten vielleicht ein wenig „too much“.

Es herrscht teilweise eine so dichte Stimmung, dass der Kopf angesichts der Überforderung irgendwann ausschaltet und man die Songs nur noch als Hintergrundgeräusch wahr nimmt. Da liegt auch ein wenig der Hase im Pfeffer: Mit fast eineinhalb Stunden und stilistischen Überwerfungen ist „Great Escape“ definitiv kein Album, dass man nach einem Mal hören vollständig erfasst hat oder welches man nebenbei hören kann. Der neue Soundtrack zum Hausputzen wird das hier definitiv nicht.

Zum Einkuscheln, Tee trinken und unter Kopfhörern genießen in diesem Herbst bei Schietwedda definitiv geeignet, aber auch nicht ganz einfach zu verdauen. Weniger ist da manchmal eben doch mehr. So bleibt ein Album als Soundtrack zur Alltagsflucht, zur Flucht vor konventionellen Songstrukturen. Ein Roadmovie, was sich zu lange zieht und in welchem die Protagonisten manchmal ein paar zu viele und unnötige Umwege vornehmen. Zumal man auch irgendwann wieder auf den Boden der Tatsachen zurück kommen muss, so wie der Gaul auf dem Coverfoto.

Am besten man entscheidet selbst, ob man die Regentage lieber mit der besseren Hälfte oder Justin Greaves verbringen möchte.

 

07.10.2018
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