Corvus Corax - Era Metallum

Review

Die Berliner Spielmannstruppe CORVUS CORAX zählt ohne Zweifel zu den umtriebigsten Bands aus dem Bereich der Mittelaltermusik. Sicherlich sind sie in der Szene nicht bei allen gleichwertig beliebt. Dennoch hat kaum eine Band dieses Genre so vorangetrieben, wie die Truppe rund um Gründungsmitglied Castus Rabensang. Seit nunmehr 33 Jahren treibt es die Spielmänner über die Bretter dieser Welt vom kleinen Mittelaltermarkt über Berliner Kirchen bis hin zu größeren Festivalbühnen. Sie gehören zudem zu den wenigen Bands aus diesem Bereich, die gerne mal über die Genregrenzen hinaus blicken. Sei es das als Projekt gedachte (und jetzt zur eigenständigen Band herangewachsene) TANZWUT, die als „Cantus Buranus“ bezeichnete Verknüpfung mit Orchester und Chor oder das Fantastical „Der Fluch des Drachen“: CORVUS CORAX erfinden sich immer wieder neu. Mit ihrem neuen Album „Era Metallum“ beginnt eine neue Zeitrechnung der Raben. Denn nun versuchen sich CORVUS CORAX als Mittelalter-Metal-Band.

„Era Metallum“ oder Game of Thrones?

Und sie greifen dabei nach dem Genrethron von IN EXTREMO (oder sitzen darauf mittlerweile SALTATIO MORTIS?). Denn gerade die Metal-Elemente können sich wirklich sehen und hören lassen. Gerade Skeptiker dieses Versuches werden sicherlich überrascht sein, wie gut es CORVUS CORAX gelingt, die Elemente aus Mittelalter und moderner Starkstrommusik zu kombinieren. Einfaches Deutsch-Rock-Riffing im Sinne von IN EXTREMO findet man hier nicht vor. Es ist wahrlich ein vollwertiges Viking-Metal-Abenteuer geworden. Denn thematisch konzentrieren sich CORVUS CORAX auf „Era Metallum“ auf ihre nordisch inspirierten Songs der vergangenen Alben.

Alte Songs – Erfrischender Aufguss

Bei den Stücken handelt es sich auch im Grunde um Neuaufnahmen der besten Songs dieser Alben. Nur eben im Viking-Metal-Gewand. Wer schon an diesen Gefallen gefunden hat, aber meinte, es fehle noch der gewisse Biss dahinter, wird hier wahrlich frohlocken. Dadurch wird „Era Metallum“, wenn man es auf das mindeste reduzieren möchte, zu einer Art Best-Of der nordischen Album-Trilogie – nur eben als Metalalbum. Eigenständige, neue Songkompositionen sind hier (leider) in Unterzahl. Einen neuen Song haben CORVUS CORAX dann aber doch noch aus dem Hut gezaubert. „Vikingar“ steht den Neuaufnahmen zwar etwas hinterher, gibt aber einen kleinen Lichtblick auf etwaige zukünftige Metal-Veröffentlichungen von CORVUS CORAX. Alleine schon, weil das Stück nicht in die bisher aus Deutschland bekannten Mittelalter-Rock-Muster passt, ja sich schon fast eigenständig präsentiert. Gerade weil sich die Albumveröffentlichung pandemiebedingt um zwei Jahre verzögert hat, hätte die Band sich die Zeit nehmen können, wenigstens eine frische Nummer aufzunehmen.

Ein Bonus, der sich gewaschen hat

Als kleine Kompensation dafür gibt es eine Bonus-Disk, auf der sich insgesamt sieben weitere Songs befinden. Bei diesen handelt es sich um die ebenfalls schon von der ersten Disk bekannten Songs. Allerdings in anderen Versionen. CORVUS CORAX gewannen nämlich zahlreiche GastmusikerInnen, die den Songs nochmal mehr Schliff geben. Zu den Gästen zählen unter anderem Hansi Kürsch (BLIND GUARDIAN, DEMONS & WIZARDS), Doro Pesch, Billy Gould (FAITH NO MORE), Sabina Classen (HOLY MOSES) oder Alan A. Nemtheanga (PRIMORDIAL). Die Ergebnisse fallen allerdings nicht alle gleich stark aus. Das Duett mit Doro wirkt etwas schwach. Aber wer hätte gedacht, dass es so unter die Haut gehen kann, wenn Hansi Kürsch gälisch singt?

Schnellschuss oder neue Ära?

Obwohl die Songs nicht neu sind und „Era Metallum“ daher gerade für die Die-Hard-Fans repetitiv erscheinen mag, erzeugen die Neuaufnahmen dennoch ihren ganz eigenen Reiz. CORVUS CORAX zeigen zudem, dass sie nicht nur im Bereich Mittelalter zu den ganz Großen zählen. Auch im metallischen Gewand geben sie doch eine überraschend gute Figur ab. Dadurch wird „Era Metallum“ vor allem für Neueinsteiger und Fans des Folk-/Viking-Metals zu einem Pflichtkauf. Denn eine bessere Kombination aus alten Instrumenten mit modernem Metal findet man so schnell vielleicht nur noch bei ELUVEITIE.

Bleibt die Frage, ob CORVUS CORAX nun vollends als Metalband unterwegs sein werden oder ob es sich hier nur um ein einmaliges Interessenprojekt gehandelt hat. Hoffen wir auf ersteres (mit gelegentlichen reinen Mittelalter-Alben). Denn wenn CORVUS CORAX nun noch neue Songs in diesem Gewand veröffentlichen, können sie IN EXTREMO und SALTATIO MORTIS hinter sich lassen. Interessant wären daneben auch gelegentliche Neuinterpretationen älterer Songs (zum Beispiel Seikilos im Doom-Gewand).

30.06.2022
Exit mobile version