Corrosive Carcass - Composition Of Flesh

Review

Als ich neulich in der Sommerfrische in Schweden weilte, erreichte mich ein etwas mysteriöser Anruf auf meinem Handy, Nummer unterdrückt, Rauschen in der Leitung. Eine sonore, tiefe Stimme verkündete mir, dass am Abend in einer alten Lagerhalle vor den Toren von Hofors die Nachwuchs-Deather CORROSIVE CARCASS einen ultrageheimen Gig geben würden, und dass ich mir das unbedingt angucken müsste, schließlich würde es sich um den heißesten Scheiß seit ewigen Zeiten handeln. Zugegeben, das klang alles reichlich obskur, und eigentlich wollte ich doch nur ein paar Tage Urlaub in Bullerbü-Schweden machen. Aber… was tut man nicht alles für sein liebstes Hobby, wenn es Neues zu entdecken gibt?

Also machte ich mich auf den Weg und fuhr über Nebenstraßen und Schotterpisten zu besagter Industriebrache, die sich in der aufkommenden Dämmerung nur noch schemenhaft vom Horizont absetzte. Der Himmel hatte sich unter den aufziehenden Wolken verdunkelt, und vereinzelt vernahm ich im nahen Wald den Ruf eines Kauzes. Von Musik allerdings war nichts zu hören, schon gar nicht von Todesmetall. Schade, umsonst angereist.

Als ich schon wieder enttäuscht zu meinem Geländewagen zurückkehren wollte, hörte ich in einem Gebüsch ein Rascheln und Knarschen. – Furchtlos zücke ich die Taschenlampe und leuchte ins Gebüsch. Ein schimmlig schimmerndes Augenpaar schaut mich an, das einem – sagen wir mal – Untoten gehört, dann bemerke ich den leblosen Körper vor ihm, die riesige Blutlache, in der ich stehe. Mir dämmert, dass das Augenpaar Jonathan Sjöblom gehören muss, seines Zeichens Sänger der Schwedentruppe, wegen der ich überhaupt erst gekommen bin. Unvermittelt öffnet er den Mund, eine weiße Flüssigkeit rinnt die Mundwinkel hinab, und dann bringt er keuchend einige Worte hervor: „The flesh“, raunt er mir zu, „is not enough“. Im nächsten Moment spüre ich einen dumpfen Schlag auf meinem Hinterkopf…

Die Schwestern im Krankenhaus sagten mir, dass ich drei Tage bewusslos gewesen wäre. An das, was passiert sein muss, kann ich mich nur schemenhaft erinnern. Plötzlich merke ich, dass der Doc an meinem Krankenlager steht und mich anspricht, doch seine Worte erreichen mich nicht; allein dass er Englisch spricht, vermag ich zu erkennen. Mit einem gewissen Spott in der Stimme bellt er mir zwei Worte entgegen: „Necrotising Fasciitis“. Argh! Von dieser Krankheit habe ich schon mal gehört, und die Erinnerung daran versetzt mich nicht gerade in Verzückung. Dann faselt er von „Awesome Nuclear Power“. Ob ich wohl geröntgt werden soll?

Stattdessen dreht er einen Ghettoblaster, der auf der Fensterbank steht, auf. „Corrosive Carcass!“ raunt er mir zu, und jetzt erkenne ich auch die tiefe, sonore Stimme wieder. Er war es also, der mich vor ein paar Tagen angerufen hatte…

Die nächsten einundvierzig Minuten gehen schnell vorüber, aber in meinem Kopf dröhnen vor allem das schnelle D-Beat-beeinflusste Schlagzeug und die primitiven und gleichzeitig so gekonnten Gitarrenriffs nach. Schleifend, flirrend, ab und zu sogar ein Harmony-Lead. Keine Frage, das ist ziemlich ansprechendes schwedisches Todesblei, ziemlich konsequent umgesetzt, ohne Mätzchen, ohne Soli, ohne allzu viele Melodien. Das bestechendste Merkmal von CORROSIVE CARCASS ist aber der Gesang von Jonathan Sjöblom, dieses höhnisch hervorgebellte Grunzen, das einerseits so bedrohlich nah und durch den Hall doch so ungreifbar klingt.

Verpackt ist das Ganze in ein Soundgewand, das einerseits das Old-School-Feeling wahrt und andererseits ordentlich auf die Ohren drückt. Und gerade dieser exzessive Einsatz des Halls gefällt mir ausgesprochen gut – dadurch klingt alles irgendwie krank. Die Songs dauern selten mal länger als drei Minuten und kommen schnell auf den Punkt. Sicherlich, manche werden sich den einen oder anderen Höhepunkt mehr wünschen, aber wer auf AUTOPSY oder frühen Schwedentod steht, wird hier bestens bedient.

Nach dem Rausschmeißer „The End Of Us All“ verliere ich abermals das Bewusstsein, doch in meinem Unterbewusstsein hallt die Erinnerung an „Composition Of Flesh“ nach und entwickelt eine seltsame Eigendynamik. „The flesh“, raunt mir Jonathan Sjöblom zu, „is not enough“.

Immer und immer wieder.

08.08.2012

- Dreaming in Red -

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