Converge - Jane Doe

Review

Kleine Geschichtsstunde: CONVERGE, „Jane Doe“, 2001. Was macht das vierte Album in der Diskographie nun irgendwie besonders? Die US-Hardcore’ler waren auch schon auf den Vorgängerwerken sowohl auf Krawall gebürstet als auch sehr experimentell teilweise unterwegs. Wieso genießt also „Jane Doe“ im Gegensatz zu den anderen Werken von CONVERGE, aber auch anderen Bands aus der Szene, heutzutage solchen Kultstatus? Subjektive Bewertungen der Diskographie von CONVERGE gehen zwischen den Fans durchaus auseinander, aber probieren wir es mit einer Annäherung: „Halo In A Haystack“ war das sehr charmante, aber noch ungehobelte Debüt, „Petitioning The Empty Sky“ wurde von der Band selber mehr wie eine EP bzw. Compilation behandelt und hat dem Sound nichts wirklich neues zugetragen, „When Forever Comes Crashing Down“ schlägt schon die Richtung ein, die „Jane Doe“ weiter verfeinern sollte: Bessere Produktion, besseres Songwriting, noch härter und es hat die interessanteren Songs. Die Nachfolgewerke mögen vielleicht musikalisch noch höher eingeordnet werden, stellen aber keinen so eindringlichen Wendepunkt dar. Wieso ist das so? Macht „Jane Doe“ irgendetwas anders oder besonders? Oder war es einfach nur der passende Ausdruck einer Musikrichtung zur richtigen Zeit?

CONVERGE sind selbst vielleicht nicht besonders, aber in der Art wie sie schreiben

Zwischen kurzen Songs wie dem eröffnenden Wirbelwind „Concubine“ und mit etwas technischerer Gitarrenarbeit aufkommenden Songs wie „Fault And Fracture“, ohne in Mathcore-Gefilde wie THE DILLINGER ESCAPE PLAN auszuarten, zerlegen CONVERGE zum einen gewohnt das Spielfeld. Zum anderen sind Punk- bzw. Hardcore-Tugenden wie unverständliches Gekreische von Frontmann Bannon, aber auch Groove und Prägnanz dennoch vorhanden („Distance And Meaning“). Ein „Hell To Pay“ ist ungewöhnlich zurückgenommen für die Band zu jener Zeit, die sich sonst lieber im Chaos und der Unnachvollziehbarkeit auslässt, zumindest historisch gesprochen. „Homewrecker“ macht seinem Namen dann darauf wieder alle Ehre.

CONVERGE sind  in der frühen Jahrtausendwende nicht ängstlich zu experimentieren, etwa kurze Punk-Stücke neben „normale“ Songlängen und einen überlangen, sehr traditionell komponierten Titelsong als Abschluss zu stellen. Chaos wechselt sich mit Groove und Melodie („The Broken  Vow“, „Heaven In Her Arms“) ab, Geschwindigkeit mit Midtempo, aber eins haben alle Songs gemeinsam: Sie tun weh. Nicht nur emotional dem Thema geschuldet, sondern auch musikalisch. Das liegt auch vor allem am Sound, der massiv daher kommt, aber immer noch genug Dreck am Stecken hat, um nicht steril zu wirken. Gitarrist Ballou hat sich nicht umsonst einen großen Namen als Produzent in der Szene gemacht, denn CONVERGE klingen so, wie man Hardcore eigentlich haben will: Wie ein harter Schlag in die Magengrube, der aber immer noch verträglich ist. Ein wenig eingerostet, aber immer noch nicht Lack ab. Musikalisch sind CONVERGE böse und aufgewühlt wie eh und jeh, aber auch verletzlich, enttäuscht, lethargisch gar.

„Jane Doe“ war vielleicht einfach nur zur richtigen Zeit am richtigen Ort

Vielleicht ist es tatsächlich nur dem Zufall zu verdanken, neben dem einprägsamen Cover von Sänger Bannon selbst, was bis heute das öffentliche Bild von CONVERGE bestimmt, dass „Jane Doe“ so erfolgreich sich ins kollektive Bewusstsein als wichtiger Meilenstein für diese Gruppe und auch den Hard/Metalcore insgesamt sich einbrennen konnte. Denn im Grunde macht „Jane Doe“ nichts großartig anders oder neu, sei es nun im Kontext der Vermischung von Hardcore und Metal zu der Zeit damals oder auch in Rückschau auf die Diskographie. Allerdings vermischt das Album dieses Amalgam aber auf einem solch hohen Niveau, dass es die bisherigen Erzeugnisse der Band links liegen lässt und auch im angebrochenen Millennium in der Szene frischen Wind hineinbringen konnte. Ein weiterer Umstand könnten die Lyrics sein: Zu einer Zeit, wo über EARTH CRISIS  hin zu HATEBREED oder anderen Szenebands sich alle entweder um die Szene selbst oder gesellschaftliche Aspekte drehten, ging Bannon mit einer in die Brüche gegangen Beziehung auf einmal ins nahbahre, persönliche Erzählen über.

Vielleicht traf das einfach nur auf mehr Resonanz bei einer jungen Szene, die in ihrem Lebensabschnitt näher an solcherlei Erfahrungen dran war, vielleicht gab es eine bis dahin vermisste Emotionalität dem Hardcore, auch wenn die schon durchaus historisch auf früheren Werken bei anderen Bands gefunden werden kann. In Verbindung all dieser Elemente, die für sich nicht neu oder revolutionär, sondern eher evolutionär sind, erschaffen CONVERGE allerdings etwas einzigartiges. Die unzähligen musikalischen Kopien von anderen Bands, aber auch das Konterfrei des Albums auf ebenso vielen Totebags, Stickern, Postern zeugen bis heute von dem Einfluss, den dieses Werk am Beginn des Millenniums auf die harte Musikszene, völlig egal ob Metal oder Hardcore-Punk, hatte. Und auch heute noch ist „Jane Doe“ bestechend zeitlos und überzeugend. Dabei hatte „Jane Doe“ letztes Jahr auch zwanzig-jähriges Jubiläum. Glückwünsch nachträglich! Wahrscheinlich werden wir erst um 2040 wissen, was das „Jane Doe“ unserer Tage heute gewesen sein wird. Hat schon wer Kandidaten?

27.01.2022
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