Coldcell - Age Of Unreason

Review

Soundcheck Juli 2024# 1

Im Black Metal hat die Kapuze oder der geschwärzte Kartoffelsack dem Corpsepaint spätestens seit dem Erfolg von Bands wie MGLA, MIDNIGHT oder UADA den Rang als modisches Accessoire der Wahl abgelaufen. Macht Sinn, ist schließlich praktikabler, als sich vor jedem Gig eimerweise Kalk aufs hagere Antlitz zu schmieren. Auch die Schweizer COLDCELL zählen zur schwarzmetallischen Sackmützenfraktion und lassen sich selten oben ohne ablichten, was freilich über die Qualität der Musik noch wenig aussagt.

„Age Of Unreason“ ist ein niederschmetterndes Hörerlebnis

Die ist auf dem fünften Album „Age Of Unreason“ auch weiterhin klar im zeitgenössischen Black Metal verortet und setzt neben einem satten, glasklaren Sound auf eine stockfinstere, zermürbende Grundstimmung, die COLDCELL irgendwo zwischen Bands wie PANZERFAUST, älteren SECRETS OF THE MOON, SCHAMMASCH (deren Drummer auch hier die Stöcke schwingt) und diversen polnischen Genrevertretern platziert. Ergänzt um eine Prise SHINING ergibt sich daraus also eine richtig gut gelaunte Sommerplatte. Passend zum insgesamt recht modern gehaltenen Klangbild beschäftigen sich die Baseler statt mit dem Gehörnten oder Wald-und-Wiesen-Paganismus mit weltlicheren Themen wie Werteverfall, gesellschaftlichem Niedergang und allgemeiner Hoffnungslosigkeit; der Blick auf den Zustand der Menschheit fällt dabei nicht unbedingt rosig aus.

Undurchdringliche Riffungetüme und donnernde Drumpatterns, die etwa bei „Dead To The World“ auch mal an postapokalyptische Kriegstrommeln erinnern, gehen mit tristen Melodien, schaurigen Samples und den gequälten Schreien von Frontmann S eine ausgesprochen ungemütliche Symbiose ein. Vor dem geistigen Auge entstehen Bilder von endlosen grauen Häuserschluchten, in denen man sich allzu leicht verlieren kann und die beklemmende, nahezu durchgängig klaustrophobische Atmosphäre macht es schwierig, einzelne Fixpunkte in diesem urbanen Schreckenslabyrinth zu finden.

Hervor stechen besonders die ruhigeren Momente, in denen das erdrückende Dickicht ein wenig aufgebrochen wird. Wobei auch das schleppende „Left“ mit seiner zutiefst sinistren Leadmelodie jetzt nicht unbedingt gute Laune und Sonnenschein vermittelt, eher im Gegenteil. Den deutlichsten stilistischen Ausreißer stellt wohl das postrockige „Meaningless“ dar, dem die schweizerische Singer-Songwriterin Ines Brodbeck mit ihrem Gesang eine unwirkliche, entrückte Note verleiht und für eine dringend nötige Verschnaufpause von der nervenzehrenden Symphonie der Hoffnungslosigkeit sorgt.

COLDCELL drücken den Finger in die Wunde

In der Summe ist „Age Of Unreason“ ein intensives, wenngleich nicht unbedingt als angenehm zu bezeichnendes Hörerlebnis. Allerdings erreichen COLDCELL damit genau das, worauf sie offensichtlich abzielen. Sie schmettern nieder, drücken den Finger permanent in die Wunde und lassen uns zu keiner Zeit vergessen, in welch kolossale Scheiße wir uns als Spezies immer wieder aus Hybris, Gier und Empathielosigkeit selbst manövrieren. Ein starkes Album, aber sicherlich nicht für jede Gefühlslage oder für den Dauergebrauch geeignet. Bleibt zuletzt noch die Frage: Warum erscheinen solch tiefschwarze Brocken gebündelter schlechter Laune eigentlich immer mitten im Sommer?

 

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19.07.2024

"Musik hat heute keinen Tiefgang mehr." - H.P. Baxxter

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1 Kommentar zu Coldcell - Age Of Unreason

  1. nili68 sagt:

    Ziemlich geil, auch vom lyrischen Konzept her. Mal auf die Einkaufsliste setzen.