Ein fünfzehnjähriges Bandbestehen und sieben Alben – inklusive dem mir vorliegenden – sollten eigentlich jeden Zweifler eines Besseren belehren, der CLAWFINGER bereits nach den ersten beiden Alben abschrieb. Dabei hatte die Band den ganz grossen Erfolg zugegebenermassen bereits Anfang der 90er mit Aufkeimen des Crossover-Trends und ihrem Debüt „Deaf Dumb Blind“, auf dem sich auch ihr anti-rassistisches Statement „Nigger“ befindet, das seinerzeit nicht nur zum Demo der Woche gewählt sondern auch in so ziemlich allen Clubs dieser Welt hoch und runter gespielt wurde, mit Ausnahme der Vereinigten Staaten versteht sich, da den Amerikanern dieser Song zu heiss war und in „god’s own country“ kurzerhand vom Album verbannt und gegen einen mehr schlechten als rechten Ersatz, nämlich „Get It“, ersetzt wurde. Es folgten nur noch wenige echte Hits wie „The Truth“, „Do What I Say“, „Biggest And The Best“ und „Out To Get Me“ bevor die Band schliesslich mehr oder weniger auch durch zurückhaltendes Marketing des damaligen Labels in der Versenkung verschwand. Vor zwei Jahren erschien dann „Hate Yourself With Style“ als erstes Album bei Nuclear Blast und stellte einen leichten Unterschied zu den vorherigen Alben dar. So werden in den Refrains oft mehrere Stimmen und Tempowechsel verwendet, wobei die Skandinavier deutlich sehr viel härter, brachialer und unberechenbarer klingen als je zuvor, ihrem Musikstil allerdings treu sind. Auch die Texte bleiben auf einem gewohnt kritischen Niveau, wenngleich diesmal auch in sehr viel direkterer Art und Weise.
Nun liegt mir also das neue Album „Life Will Kill You“ vor und ich muss zugeben, dass die Cover-Artworks noch nie die Stärke der Band und somit auch künstlerisch wertvolle Hingucker waren. Das neue Cover schlägt sie jedoch in Punkto Simplizismus alle und ich muss mich ernsthaft fragen, ob dies etwa auch ein Hinweis auf den musikalischen Inhalt darstellen soll. Beschränken sich CLAWFINGER auf ihre Anfänge, auf die mit „Hate Yourself With Style“ neu eingeschlagene härtere Gangart oder wird abermals den Drum’n’Bass-Experimenten von „A Whole Lot Of Nothing“ gefrönt?
Den Einstieg macht „The Price We Pay“ mit ruhigen Streichern bevor Keyboard, Drums und schliesslich auch die Gitarren einsetzen und eine typische CLAWFINGER Nummer offenbaren, die im Chorus recht punkig klingt und Erinnerungen an THE OFFSPRING weckt, wäre da nicht diese eine berühmte Zeile „every move we make, every step you take“ von THE POLICE, der bis zum Ausklingen noch einige Male gehuldigt wird. Kein schlechter Einstand, hatte ich doch schon das Schlimmste befürchtet. Der folgende Titelsong dürfte zumindest in seiner groovig-stampfenden Art ein Abräumer auf allen Gigs und Festivals werden, erreicht aber lange nicht die Klasse des nächsten Tracks. Denn mit „Prisoners“ beweisen CLAWFINGER schliesslich ihr goldenes Händchen für Crossover-Hits im Stile von „Out To Get Me“ oder „Biggest And The Best“ und mir persönlich was ich an der Band besonders zu schätzen weiss: Zak Tells einzigartiger Rap-Gesang trifft auf einen hoch-melodischen Mitsing-Chorus. „We are the prisoners of the system we create. We are the prisoners of the fear that seals our fate.“, das kann ganz bestimmt mein Nachbarn mittlerweile auch schon mitsingen – ganz grosses Tennis und genau das, was CLAWFINGER gebraucht hat, um sich eindrucksvoll wieder an der Spitze des Crossovers zurückzumelden. „None The Wiser“ klingt bei aller Härte sehr groovy und melodisch, doch lässt sich hier nicht verleugnen, dass MEGADETH’s „Symphony Of Destruction“ für Melodie und Riffs, die durch ein paar elektronische Spielereien aufpoliert wurden, sicherlich Pate gestanden hat. „Little Baby“, ein bis zu Zweidritteln sehr ruhiger Song über Kindesmissbrauch, bei dem neben Zak im Chorus auch Frauengesang zu hören ist, stellt ein weiteres Highlight des Albums dar und ist einer von vier Songs vom neuen Album, zu denen ein Video zu Promotionzwecken gedreht wurde. Das letzte Drittel des Songs endet schliesslich in einem brachialen Gitarrensturm, der allem Ekel und Zorn freien Lauf gewährt und letztendlich Ohnmacht symbolisiert: erschreckend, bewegend und eindrucksvoll! Auch Songs wie „The Cure & The Prison“ und „It’s Your Life“ erreichen mindestens die Klasse von „Warfair“ oder „Recipe Of Hate“. Darüberhinaus enthält die Limited Edition mit „Dying To Know“ und „Picture Perfect Skies“ noch zwei weitere Tracks, die auf meiner Promo-CD leider nicht enthalten sind.
Wo also ist „Life Will Kill You“ nun einzuorden, um auf meine eingangs erwähnte Frage zurückzukommen? Ist das neue Album wirklich so einfallslos wie das Cover vermuten lassen könnte? Die einfache Antwort lautet: Nein, ganz und gar nicht! „Life Will Kill You“ ist ein abwechslungsreiches Album geworden, das die besten Elemente aller vorherigen Releases kombiniert und auch langfristig begeistern kann, ein Album, das die letzten vier Alben locker in die Tasche steckt und somit mit „Deaf Dumb Blind“ an der Spitze sämtlicher Crossover-Veröffentlichungen zu stehen hat. Für mich sind CLAWFINGER damit – was Crossover angeht – „The Biggest & The Best“.
Großartiges Album. Meine Helden des Crossovers endlich mit jenen grandiosen Hooks, auf die man jetzt 15 Jahre warten musste. Clawfinger schienen bislang ewig den Kompromiss zu scheuen – und jetzt, da sie einen großen Schritt auf die Meldodie zu gehen, stellt sich heraus: Sie bleiben sich dank rotziger, authentischer Clean-Vocals und dank sprödem Gitarrensound treu. Und natürlich dank Zaks eindringlichem Sprechgesang. Damit ragen sie so weit aus dem verblassenden WasweißichCore-Trend heraus, dass niemand ihnen Anbiederung vorhalten könnte. Wie auch – dem Papst wirft man ja auch keine Anbiederung ans Christentum vor, hehe… Zurück zum Album: Schlichte, sehr konkret auf den Punkt gebrachte Songs, die in aller Regel nach vorne ballern, als hätte es "Hate myself with style" nie gegeben. Allen voran die phantastische Auskopplung (wer braucht sowas eigentlich heute noch außer vielleicht Nucl. Blast?) "The Price We Pay". Auch "It’s your Life" ist ein Tempoknöllchen dank Gasfuß allemal wert (dieser Refrain! Woooooow!) – Kein bemühter Schnörkel stört die in sich stimmigen Tracks. Trotz melancholischer Einschübe, schleppender Stampfer und teils nachdenklichen Lyrics: "Life Will Kill You" atmet schwer rockende Lebensfreude und ist einfach ansteckend – Sommerurlaub fürs Metal-Ohr! Kaufen! Unbedingt noch im Sommer!