Chryst - Phantasmachronica

Review

Hirnknoten, brodelnde Synapsen und verquere Denkprozesse. Rückwärts in die Zukunft reisen. Kopfüber in den Himmel springen und aus dem Meer fallen, während der Cyber-Messias blöd glotzend Zeuge ist. Was CHRYST auf „Phantasmachronica“ – im Grunde das vierte KOROVA-Album – auffahren, ist für den Normalsterblichen zuviel. Besonders nach einem harten Arbeitstag oder gar einer Arbeitswoche. Wer trotzdem dem mentalen Reset innerhalb von 47 Minuten entgegensteuern will… rein mit der Scheibe…

… die übrigens ähnlich klingt, wie sie aussieht. Das provokante Himmelblau, die billige gephotoshopten Effekte und das allgemein absurde Artwork bilden schon ganz gut ab, was hier passiert. Dabei ist die Musik oberflächlich noch recht handzahm – der Stil ist von KOROVA und KOROVAKILL gut bekannt: Eine Art Mid Tempo-Dark Metal mit Versatzstücken aus dem Black Metal und Industrial, aber alles avantgardistisch eingefärbt, sehr rhythmusbetont, mitunter schräg und disharmonisch. Nach Ohrwurmriffs von der Stange oder bangkompatiblen Drumpatterns kann mir hier bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag suchen.

Stattdessen ist das Album, übrigens aus einem durchgehenden Song bestehend, gespickt mit übel fordernden Details in einem zwar wirklich guten und mit viel Fingerspitzengefühl austarierten, aber befremdlich distanzierten Sound. Vocals im Kinderlied-Stil, Slow-Downs und Speed-Ups der gesamten Musik und wahnwitzige Doublebassattacken sind da noch die leichtverdaulicheren Elemente. Interessant wird’s, wenn man der sich niemals wiederholenden Musik hingibt, dem Gedankengang des Texts folgt und sich langsam in einer Welt wiederfindet, in der man sich nicht einmal mehr auf die Gesetze der Physik verlassen kann. Auf einmal passen die zuckenden und verdammt anspruchsvollen Gitarren ins Bild, die kreischenden Synthesizer klingen seltsam passend, und auch Christof Niederwiesers sehr markanter Gesang fügt sich flüssig in das Gesamtbild ein.

Dieses Gesamtbild kann man eigentlich nur als Mischung aus dem „Geisterschiff der schwimmenden Leichen“, STRAPPING YOUNG LAD für familienfreundliche Akademiker und dem Terry Pratchett-Roman, der nie erscheinen wird, verstehen. Genialer Scheiß, ums mal auf Deutsch zu sagen. Die seriöse Version: Eine schrägere Avantgarde Metal-Platte habe ich dieses Jahr nicht gehört, und eine bessere auch nicht. Was hier passiert, ist für Genrefans und KOROVA-Verehrer großes Kino. Allerdings eben sehr spezielles Programm-Kino, soviel muss klar sein.

20.10.2011

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