Charlie Griffiths - Tiktaalika

Review

Soundcheck Juni 2022# 2

HAKEN-Gitarrist Charlie Griffiths tobt sich mittlerweile solo aus. Mit „Tiktaalika“ hat er die Achtsaiter gegen eine Sechssaiter eingetauscht. Begrenzung als kreativer Motivator? Denkbar ist es. „Tiktaalika“ ist mehr oder minder einem Konzept untergeordnet. Wie der Saitenhexer verlautet, dreht sich das Album um prähistorische Zeiten. Könnte nach dem Titel des Intros, „Prehistoric Prelude“, vielleicht auch schon in den Sinn gekommen sein. „Tiktaalika“ ist Inuitka-Sprache für eine Art fossile Zwischenstufe zwischen den frühen Meeresfischen und den ersten noch beflossten Landbewohnern, auf deutsch mit dem weniger schönen Begriff Fleischflosser ausgestattet.

Ins (verrückte) prähistorische Zeitalter mit „Tiktaalika“

Auf „Tiktaalika“ geht es zum einen proggig wie in seiner Hauptband zu, allerdings oft ungewohnt heavy. Bereits „Arctic Cemetary“ steigt nach dem akustisch eröffnendem und sich stetig steigerndem Intro abwechslungsreich aber auch heavy ein, sowohl in Riffs als auch Vocals, die hier von Tommy Rogers (BETWEEN THE BURIED AND ME) kommen. Aber CHARLIE GRIFFITHS wäre nicht CHARLIE GRIFFITHS, wenn er nicht noch mehr Überraschungen auf Lager hätte.

„Luminous Beings“ mit seinen Keyboards und seiner Theatralik erinnert an extremere LIQUID TENSION EXPERIMENT oder DEVIN TOWNSEND. „In Alluvium“ ist zusammen mit dem Titeltrack und „Dead In The Water“ einer von gleich drei Achtminütern, die innerhalb ihrer Laufzeiten ein ganzes Feuerwerk an Ideen liefern und mit traumwandlerischer Sicherheit zwischen schwebenden Prog-Parts und heavy Riffing hin und her schwanken. Ergänzt um kleinere Gastspiele wie etwa Sänger Daniel DeJong (Ex-TEXTURES) und Ideen, die auch auf einer Fusion-Platte hätten Platz finden können, wird hier eine grosse stilistische Vielfalt geboten, die sich immer organisch einfügt und nie aufgesetzt wirkt.

Spannende Gäste, exotisches Instrumentarium, technische Glanzleistungen – Progklischees, die hier allerdings nicht stören

Da LIQUID TENSION EXPERIMENT bereits genannt wurden: Dass auf „In Alluvium“ Jordan Rudess von ebenjenen ein Gastspiel hat, verwundert da nicht weiter. In selbigem Track singt noch Vladimir Lalić (ORGANIZED CHAOS). Neil Purdy (LUNAS CALL) macht die Sängerrunde auf „Dead In The Water“ voll. Das Stück beginnt mit massivem Bass und gibt sich wesentlich schwerer und grooviger. Den gleichen Song veredelt Steve Hackett mit einem Saxophon-Auftritt, was vor allem in Kombination mit den Riffs eine interessante neue Komponente einbringt. Warum? Weil das Blasinstrument zum Textuieren und Akzentuieren genutzt wird, also ganz anders als bei Bands wie IHSAHN, RIVERS OF NIHIL oder WHITE WARD.

„Digging Deeper“ ist eine Überleitung zu „Tiktaalika“ und kommt entschleunigt daher, ehe es mit „Tiktaalika“ erneut wieder ein wenig heavier wird, das als Instrumental allerdings auch mit tollen Leadmelodien aufwartet. Auch das ein wenig an LAMB OF GOD erinnernde „Crawl Walk Run“ setzt eher auf Attacke und Prägnanz, bevor „Under Polaris“ mit einer Reprise – wie auch sonst auf einem Progalbum – das Motiv von „Arctic Cemetary“  wieder aufnimmt und als toller Abschlusspunkt aus dem Album entlässt.

Gerne mehr von CHARLIE GRIFFITHS

CHARLIE GRIFFITHS erstes Soloalbum ist beeindruckend. Trotz des unmissverständlichen Prog-Charakters sollte nicht der Fehler begangen werden, das Album hinsichtlich Härtegrad zu unterschätzen. Die Liebe zu frühem Heavy Metal aber auch Thrash und gar moderneren Metal-Einflüssen kommt in den Riffs immer wieder durch und steht „Tiktaalika“ sehr gut zu Gesicht. Aber auch Fans von Griffiths Hauptband HAKEN sollten hier mal ein Ohr riskieren, denn allzu weit weg von HAKEN ist „Tiktaalika“ auf der anderen Seite nicht. Die größte Leistung ist wahrscheinlich der runde Gesamteindruck, denn wenn wir ehrlich sind, war ein musikalisch starkes Album angesichts der Hauptband schon zu erwarten.

Nur machen technisch gute Musiker allein eben noch nicht zwingend ein gutes Album, doch auch Songwritingfinesse schüttelt sich CHARLIE GRIFFITHS mühelos aus dem Ärmel, ohne in übertriebene Selbstdarstellung auszuarten (ok, vielleicht ein ganz kleines bisschen zum Abschluss am Anfang von „Under Polaris“). Gut eingesetzte Gäste runden „Tiktaalika“ schliesslich toll ab. Gerne mehr in Zukunft von CHARLIE GRIFFITHS!

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26.06.2022

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