Soloprojekt von Musikern halbwegs bekannter Gruppierungen sind immer eine etwas heikle Angelegenheit. All zu oft unterscheiden sich die Einzelwerke zu wenig von der Hauptband, sind lieblos gemacht oder das Talent reicht für die komplette Eigenregie einfach nicht aus. All das kann man CASTUS RABENSANG aka Karsten Liehm von CORVUS CORAX nicht vorwerfen bei seiner ersten Solo-CD „Rabensänge“. Das größere Problem für mich hierbei ist eher, dass ich schon CORVUS CORAX und eigentlich das komplette Mittelaltergenre nicht ausstehen kann. Aber ich will dennoch versuchen, objektiv zu bleiben.
Der wichtigste Punkt bei der Machart dieses Werkes ist, dass es komplett a capella, also nur durch die Stimme und ohne Instrumente, erschaffen wurde und dies wird auch noch dadurch gesteigert, dass es sich hierbei auch noch einzig um die Stimme von Herrn Rabensang selber handelt, die auf bis zu 200 Spuren nach einander eingesungen wurde. Besonders beeindruckend ist auch, dass seine Stimme lockere viereinhalb Oktaven abzudecken vermag. Er singt also wirklich, wirklich tief und schon im nächsten Moment einen für einen Mann verdammt hohen Sopran. Die Begleitung bilden die im eigenen Homestudio in Kleinstarbeit aufgenommenen Chöre. Es werden unter anderen Heinrich Heine und Francois Villon interpretiert und das Ganze wird auch in alten Sprachen wie Altenglisch, Normannisch oder Altfranzösisch vorgetragen. Außerdem kann sich der Interpret rühmen, den mongolischen Obertongesang zu beherschen. Klingt alles ziemlich beeindruckend, oder?
Ja, ich muss wirklich sagen, dass ich die sängerische Leistung zu tiefst beeindruckend finde und sie sicherlich ihresgleichen sucht. Nur muss ich leider trotzdem den Kunstbanausen spielen und mich fragen, wieviel mir als Hörer so eine einzigartige Machart bringt, wenn mir das Endergebnis nicht gefällt. Es mag vermessen erscheinen, sich zu beklagen, dass die Chöre sich zu viel wiederholen und nach einiger Zeit monoton wirken, im Hinblick darauf, dass der gute Mann jede einzelne Stimme selbst eingesungen hat. Dennoch wirkt das Endprodukt auf mich so. Auch der intellektuelle Hintergrund des Werkes, den sich Karsten Liehm laut Infoblatt in zwanzigjährigen Studien mittelalterlicher Musik erarbeitet hat, ist wirklich sehr imposant. Nur viel anfangen kann ich damit als Laie leider nicht. Es mag einer tumben Konsumentenhaltung entsprechen, aber ich fürchte, ich würde ein weniger aufwändig gemachtes Werk bevorzugen, zu dem ich einen Zugang finden würde. Und ich würde Chöre aus der Konserve oder von einem vollbemannten Chorensemble doch der akribischen Einzelarbeit vorziehen, sofern ich das Endergebnis ansprechender fände.
Ich will es bildlich gesprochen mal zusammenfassen: Ich ziehe einfach den massenproduzierten Ikeastuhl dem in liebevoller Handarbeit geschnitzten Möbeltischlerstuhl vor, sofern ich darauf besser sitzen kann.
Ich denke, Fans des Genres und besonders Anhänger von CORVUS CORAX werden auch mit den „Rabensängen“ gut bedient sein, sofern sie auf Instrumentierung verzichten können. All denjenigen, die sich in erster Linie an der gewaltigen Stimme von Herrn Liehm laben wollen, sei trotzdem zu intensivem Probehören geraten – es mag doch einfach für Nicht-Mittelalterfans zu speziell und sperrig sein. So empfand ich es jedenfalls. So bekommt es von mir auf jeden Fall sehr viel Respekt für die sängerische Leistung, nur freiwillig anhören mag ich es mir nicht noch weiter. Freunde der Mittelalterklänge sollten dagegen auf jeden Fall reinhören!
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