Als CASHs „American V – A Hundred Highways“ im letzten Jahr erschien, war der Meister aller Klassen schon seit drei Jahren nicht mehr in der irdischen Welt. „American V“ sollte das Vermächtnis dieses Mannes werden, der Abschluss der schon jetzt legendären „American Recordings“. Inzwischen heißt es seitens seines kongenialen Producers Rick Rubin, dass wohl noch ein sechster Teil entstehen soll. Auf „American V“ wurden einige noch im Archiv lagernde, für die „American Recordings“ bestimmte Gesangsspuren von CASH durch die Musik seiner Studioband ergänzt. Herausgekommen ist ein Werk zwischen Himmel und Erde bzw. Hölle und Unterwelt, denn CASH war beim Einsingen der Tracks bereits schwer erkrankt und seine Stimme brüchig und von seiner zunehmend schlechter werdenden Verfassung gezeichnet. Doch genau darin sollte für den Hörer später der Reiz dieser Veröffentlichung liegen. Denn CASH verabschiedet sich für immer, da können elegische, traurige, melancholische Momente nicht ausbleiben, und wen interessiert in solch einem Zusammenhang ein perfekt produziertes Timbre? Hier kommt es auf den Ausdruck an, und den liefert uns CASH wie kein Zweiter.
Wir hören: Staub, Highway, Windy Town, Gasoline, Whiskey, Vitriol, Schweiß, Gefängnis, Rampenlicht, Verlassenheit, Einsamkeit, Leben, Tod, Crime, Love, Country, Blues, Rock And Roll, Truck, Drugstores, Canyons, Weite, Wüste, Berge, Südstaaten, Alkohol, Schlägereien, Freundschaft, Ankunft, Rückkehr, Trennung, Banjos, Traditionals, Kakteen, Motels, Gospels, Tramps, Vamps, Cowboys und vieles mehr. Der gekonnte Minimalismus, diese auf den inneren Kern der Empfindung reduzierte Direktheit seiner Songs machte ihn so ausdrucksstark. Der Roadsong „Further Up On The Road“ (ein BRUCE SPRINGSTEEN-Cover) ist ein Highlight des Albums; hier scheint CASH mit sich und der Welt im Einklang zu sein. Das rhythmische „God’s Gonna Cut You Down“ gerät CASH-typisch, seine Vorliebe für Aussenseiter der Gesellschaft, für „Rambler, Gambler, Midnight Rider“ wird überdeutlich. „Like The 309“ ist der letzte von ihm aufgenommene Song überhaupt. CASH swingt lässig, den schwarzen Staubmantel im Wind, einen Fuß auf der Verandatreppe, die Zuhörer lauschen gebannt. Die Band lässt seiner Stimme immer den Vortritt, ohne jedoch nur bloße Zierde zu sein.
„I Came To Believe“ klingt zerbrechlich, dennoch stark. Das Wort, auch gerade das gesungene, überdauert den Tod. „I’m Free From The Chain Gang Now“ zeigt seine Befreiung von den einengenden Fesseln, die dem Künstler und Menschen Johnny Cash zu fast allen Zeiten und von vielen Seiten angelegt wurden; gut, sowas am Lebensende von sich behaupten zu können. Die weiteren „American Recordings“, so z.B. „American III – Solitary Man“ und „American IV – The Man Comes Around“ sind natürlich auch empfehlenswert, nicht nur wegen der tollen Titeltracks. Auf seinem letzten Album „American V – A Hundred Highways“ singt jemand, der dem Tode nahe ist und der sich mit den vielen Verirrungen und seltsamen Wendungen seines Lebens ausgesöhnt hat.
Das großartige Album, eines großartigen Mannes, den man erst verstehen lernen muss…