Candlemass - Ancient Dreams

Review

Unter "Blast From The Past" erscheinen jeden Mittwoch Reviews zu Alben, die wir bislang nicht ausreichend gewürdigt haben. Hier gibt es alle bisher erschienenen Blast-From-The-Past-Reviews.

Galerie mit 28 Bildern: Candlemass - Hammer Of Doom Festival 2022

Im Gegensatz zum Debüt “Epicus Doomicus Metallicus” (1986) und dem überlebensgroßen Nachfolger “Nightfall” (1987), bei dem der kultige Kuttenträger Messiah Marcolin seinen Einstand als Sänger feierte, wird das dritte CANDLEMASS-Album “Ancient Dreams” kurioserweise eher selten als Fan-Favorit der schwedischen Doom-Gottheiten genannt. Auch das folgende, ’89er-Konzeptwerk “Tales Of Creation” scheint im Mittel beliebter. Der geheimnisvolle Grund könnte darin liegen, dass Leif Edling und seine Mitstreiter schon seinerzeit mächtig auf dem Mix herumhackten, für den von der Plattenfirma viel zu wenig Zeit gelassen wurde und selbst gern die Angewohnheit haben, “Ancient Dreams” in ein schlechtes Licht zu rücken. Die Songs hingegen formen eine perfekte Doom-Messe, die gemeinsam mit “Nightfall” sogar die rundeste CANDLEMASS-Platte der ersten Ära (die ich mal bis “Chapter VI” 1992 eingrenzen möchte) darstellt.

“Ancient Dreams” aus einer anderen Welt

Gut, “Nightfall” hat gewiss ein wegweisendes Stück Metal-Geschichte geschrieben, das war sogar vor über dreißig Jahren den meisten klar – nicht wenige Bands wären an ihrem eigenen Vermächtnis binnen kürzester Zeit krepiert. Nicht so Leif Edling. Der Bassist und alleinige Komponist verstand es über den größten Teil seiner Karriere (die versponnene “Dactylis Glomerata”– und vor allem “From The 13th Sun”-Phase Ende der Neunziger klammern wir mal aus), sich die prägnanten Killerriffs nur so aus dem Ärmel zu schütteln. So gibt es auch auf “Ancient Dreams” keinen wirklich schwachen Song und fast keinen überflüssigen Moment. Lediglich “Incarnation Of Evil” ist ein in der Mitte platzierter, “nur” guter Song, der insbesondere nach dem mächtigen Eröffnungs-Hattrick zunächst ein bisschen unspektakulär wirkt. Die meisten aktuellen Doom-Bands würden für diese weltvergessene Atmosphäre, die geradezu metaphysisch ist, allerdings auch heute noch ihre, nun ja, Seele verkaufen.

Wie schon gesagt, beginnt das Album mit einigen der besten CANDLEMASS-Songs überhaupt. “Mirror Mirror” und “A Cry From The Crypt” steigen mit einer ähnlichen Dynamik wie die Opener des Vorgängers ein. Das Tempo schleppt, ist aber nie zäh; Abwechslung und intelligente Breaks gehören zum CANDLEMASS-Markenkern. “Darkness In Paradise” ist dann schließlich der Hit des Albums schlechthin: Ein unwiderstehlicher Stampfer mit eingängiger Gesangsmelodie, der von der Atmosphäre her an den Klassiker “Bewitched” (von “Nightfall”) erinnert.

CANDLEMASS Anno 1988: Drittes Meisterwerk in Folge

Die B-Seite hat mit “Bearer Of Pain”, dem Titelsong, dem überragenden “The Bells Of Acheron” und dem abschließenden “Epistle No. 81” eigentlich nur herausragende Songs am Start. Der Unterschied zu den Songs von “Nightfall” oder auch “Tales Of Creation” liegt darin, dass sie zunächst schwerer zugänglich wirken – ihre Langzeitwirkung entfaltet sich hingegen umso prachtvoller.

Dazu trägt auch die durchweg superbe Gitarrenarbeit bei. Es kommt CANDLEMASS hörbar zugute, dass sich die Line-up-Unstimmigkeiten während der “Nightfall”-Aufnahmen (auf denen bei vielen Songs noch ein ungenannter Mike Wead, später u. a. HEXENHAUS, KING DIAMOND, MERCYFUL FATE, spielte) klärten und vor allem Lead-Gitarrist Lasse Johansson nun all seine Stärken ausspielen kann. Und beim unheiligen Baphomet, der Mann gehört wahrscheinlich zu den verkanntesten Gitarren-Genies der Heavy-Metal-Kultur. Gönnt euch den Solopart von “Darkness In Paradise” oder dem Titelsong und ihr wisst, was ich meine.

“Ancient Dreams” – Eine der schönsten Reisen in die eigene Fantasie

Wie es sich gehört, wird “Ancient Dreams” wie schon beim Vorgänger von einem klassischen, einnehmend mystischen Thomas-Cole-Gemälde von 1842 geziert, das die Stimmung des Albums perfekt einfängt und gleichzeitig einlädt, Realität und irdische Zwänge für 52 fantastische Minuten zu verlassen. Ja, der Mix ist nicht perfekt und würde irgendwie besser zu einer zeitgenössischen Thrash-Produktion passen. Aber wie vielen Alben der Achtziger und Neunziger haben wir denn schon einen schwachen Sound verziehen, wenn die Klasse der Musik alles überstrahlt? Der AxeFX-Kemper-ProTools-Trigger-Einheitsmüll aus den Yuppie-Studios der Insta-Epoche in den letzten zehn Jahren ist da viel problematischer …

“Ancient Dreams” eine Klasse für sich und gehört mindestens zu den fünf besten Alben in der ohnehin sehr hochwertigen Diskografie der Schweden.

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17.11.2021

Redakteur | Koordination Themenplanung & Interviews

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3 Kommentare zu Candlemass - Ancient Dreams

  1. Lysolium 68 sagt:

    Marcolin war für mich immer der beste Sänger und „Mirror Mirror“ ist Doom 1×1.

    10/10
  2. Nether sagt:

    Für mich war die Platte der Einstieg in Candlemass und der Beginn einer großen Liebe, die über all die Jahre nur 2-3 mal getrübt wurde. Sie steht zwar immer hinter „EDM“ und „Nightfall“, aber steckt so ziemlich alles in die Tasche was Candlemass danach „verbrochen“ haben.
    Spannend find ich immer wieder, dass „Incarnation Of Evil“ meistens schlechter weg kommt als andere Stücke.
    Egal. „Ancient Dreams“ ist eine dieser Platten, bei denen sich andere Doombands ganz hoch strecken müssen und sie trotzdem nie erreichen werden.

    10/10
  3. MetalGerhardt sagt:

    Hat mir schon besser gefallen, als „Nightfall“, wobei ich den Gesang von Marcolin auf Albumlänge immer noch als etwas anstrengend empfinde. Hat man sich daran gewöhnt, ist es aber auf jeden Fall sehr gut und auch etwas variabler, als auf dem letzten Album. Die Songs mit ihrer fast ausschließlichen Überlänge werden dem Begriff „Epic“ gerecht und es gibt ein paar echte Highlights. Wie auch im Review beschrieben, stechen für mich besonders „Darkness in Paradise“ und „The Bells of Acheron“ heraus, aber auch der Opener und „A Cry from the Crypt“ sind großartig.
    Für mich persönlich immer noch nicht so meisterhaft, wie das grandiose Debüt, aber schon einen ordentlichen Deut besser, als „Nightfall“. Mit „Tales of Creation“ ging die Achterbahnfahrt ein Jahr später leider wieder ein wenig weiter hinunter.

    8/10