Burst - Lazarus Bird

Review

Obwohl die Rückbesinnung auf den ursprünglichen Zustand der Welt ohne Künstlichkeit häufig negiert wird, verhilft BURST gerade die scheinbare Vertonung zutiefst unverfälschter menschlicher Gefühle und Bedürfnisse zum Erfolg. Ihre Musik hat die Wirkung Stimmungskatalysierender Psychopharmaka: sie kann Schmerzen lindern, verzweiflungsvollen Kummer oder Hoffnung wecken, und sie bewegt dazu, unverzüglich die Embryonalhaltung einnehmen zu wollen. Charakteristisch für die irrationalen Turbulenzen, die sich bereits wahrnehmbar, aber nicht ausgeprägt auf „Prey On Life“ und „Origo“ abspielten, ist bei den Schweden das Crescendo, welches zwischen introspektiven Offenbarungen und schon fast orchestralen Ausbrüchen stattfindet. Lautstärke als Stilmittel der Erzeugung von Klimax beherrschen BURST bis zu dem Punkt, wo das Trommelfell platzen müsste, kurz bevor das Herz sich zu dieser Handlung gezwungen sieht. Aber Spannung entsteht hier nicht nur linear-sequentiell, durch die strikte Abfolge von laut und leise, sondern in der Simultanität von Sehnsucht nach Ruhe und nach Zerstörung, von herausfordernden Riffs und atmosphärisch flirrenden Soundscapes, von glasklar-warmem Sound und heftigen Eruptionen ohnmächtiger Wut.

Das Crescendo schwelt auf „Lazarus Bird“, am feurigsten im Song von „(We Watched) The Silver Rain“, das mit über zehn Minuten Spielzeit das längste Stück der Platte ist. Wobei hier die Längen und die großen Gesten notwendig sind, hat man es hier nicht mit mehreren zusammengeschusterten halbfertigen Segmenten zu tun, sondern mit Einheiten, die so groß sind, dass sie sich weit erstrecken müssen. Insgesamt fällt das Album überhaupt weitaus epischer im Arrangement aus, als noch seine Vorgänger. BURST zelebrieren schwelgerische Refrains, die bislang eher immer beiläufig klangen, die Stücke sind vielseitiger instrumentiert. Und doch reduzieren sich Weite, Hall und Transparenz vom Ätherischen zum Erdigen. Die Dominanz des Gewaltigen kann einer betont aggressiven Grundstimmung, einem dunklen Tenor weichen, vor allem im ersten Drittel des Albums: von dem kinematographischen „I Hold Vertigo“ – selten wird man von einsetzenden Vocals so überrascht wie beim Opener – mitten rein in die treibende Euphorie von „I Exterminate The I“ und hinüber zur anschwellenden Größe eines OPETH-Songs bei „We Are Dust“.

BURST zerfließen nicht: Das Fundament ihrer Stücke ist immer ein Groove, anziehendes Metal-Riffing, ein deftiges Zupacken. Erst dann fasern BURST die Peripherie mit Psychedeliria aus; wie in „Nineteenhundred“, welches mit Saxophon-Freejazz-Anleihen ausklingt. Zu lange, langatmig, langweilig wird es nie, denn sie haben gelernt sich ihre Zeit einzuteilen. Den träumerischen Teilen wird genau so die am besten geeignete Länge zugesprochen wie den rifflastigen Passagen und Crescendi, die von und zu den orgasmisch anmutenden Lärmausbrüchen führen. Vor allem in den verhaltenen, ruhigen Parts haben sie sich zu wahren Meistern entwickelt, wo früher der schnelle Weg zum wieder lauter und härter werden gesucht wurde und die etwas widerwillige Sterilität zu spüren war, ist die Atmosphäre auf „Lazarus Bird“ genau so visionär und pittoresk, wie das schöne Cover von Artwork-Künstler Orion Landau vermuten lässt. Inhaltlich wie konzeptuell im konkreten musikalischen Resultat makellos.

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16.09.2008

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4 Kommentare zu Burst - Lazarus Bird

  1. ego-shooter sagt:

    Interessante Review, vielleicht ein bisschen zu akademisch. Die Scheibe ist eine echte Überraschung und eine riesige Weiterentwicklung und in jedem Fall eine der interessantesten Veröffentlichungen des Jahres. Der deutlich progressivere Ansatz, die epischeren Songs und Arrangements und vor allem der deutlich verbesserte und vielseitigere Gesang tun Burn sehr gut.

    9/10
  2. stefsheadbangshop sagt:

    Wer ist burn? ;-P. Ansonnsten kann ich nur zustimmen, eine wirklich gelungene Cd.

    9/10
  3. ego-shooter sagt:

    Jessas, wieder meine Alzheimer Pillen in die Spülmaschine gesteckt.

    9/10
  4. stendahl sagt:

    Feines Review, wie gehabt vom Mann mit dem Käppi. Wenn man sich über die Hindernisse hinweggesetzt hat, und das schafft nicht jeder, dann entfaltet sich grandiose Schönheit. Verschattete Ecken wollen entdeckt werden.

    9/10