BRAIN TENTACLES – oje, allein schon der Name lässt den reinsten Matheprog-Reigen befürchten. Aber nein, dem ist nicht so. Tatsächlich gibt es auf dem vorliegenden, selbstbetitelten Debüt des Trios sogar richtig fett auf die Schnauze. Nur passiert das eben nicht in der Art und Weise, wie man es so direkt erwarten würde. Diese Supergroup, bestehend aus Bruce Lamont (BLOODIEST), Aaron Dallison (KEELHAUL) und Dave Witte (MUNICIPAL WASTE), spielt im wesentlichen Avantgarde – ein weit gefasster Begriff, gewiss. Nur ist das hier eben nicht die Musik für Schöngeister und Intellektuelle, sondern eher für demolierwütige Anarchisten.
Gitarren sind ja eh überbewertet
Zunächst ertönt beim Opener „Kingda Ka“ das heftig verzerrte Saxofon. Und wie soll man ein derart seltsames, destruktives Werk auch anders eröffnen, wenn man sich über den ahnungslosen, klischee- und harmonieverwöhnten Hörer lustig machen kann? Eben. Und so prasseln gleich mal spöttische Melodien über denselben herein. Witzig, wie man bei den Saxofon-Linien die „Hohohos“ und „Hahahas“ förmlich heraus hört. Überhaupt hat man durch den dicken, dreckigen Sound das Gefühl, dass die Trompeten des jüngsten Gerichtes erklingen würden. Dazu knorzt Dallisons Bass ordentlich, während Witte dem Ganzen eine rotzig punkige Rhythmik auf den Leib prügelt.
Wer jetzt noch nicht genug hat. dem hilft das schräge „Fruitcake“ sicher weiter, das mit seinen zuckelig schrillen Saxofon-Linien nachsetzt und die dicken Grooves auspackt. Das folgende „Cosmic Warriors Girth Curse“ beginnt eiskalt und langsam mit drückendem Saxofon-Sludge, während Lamont hier erstmals sein heiseres Gebrüll ertönen lässt. Mittendrin biegt der Song dann aber in Richtung Krautrock ab, während das Saxofon großflächig und mit Hall- und Sequencer-Effekten zusammen mit dem klaren, hallenden Gesang für ordentlich Atmosphäre sorgt.
Diese eröffnende Trias zeigt schon auf, wie der Hase bei den BRAIN TENTACLES läuft. Die Songs sind unberechenbar, abenteuerlich, kompromisslos. Dass die Musik dabei nicht wie ein Mosaik klingt, hat die Band vor allem ihrem Sound zu verdanken, der das Album einzigartig und wie aus einem Guss klingen lässt. Und wie viele Bands schmeißen schon die Sechssaitige derart trotzig aus dem Fenster? Klar, es gibt genug Beispiele dafür. ZU etwa wären zu nennen, die überdies in vergleichbarer Aufstellung spielen. Auch VAN DER GRAAF GENERATOR kommen entfernt in den Sinn, auch wenn diese gelegentlich dann doch zur Gitarre greifen. Dennoch ist diese Art Musik noch unerforscht genug, um sich frisch und unverbraucht anzufühlen.
BRAIN TENTACLES verbannen die Schublade als solche
Ein Vorteil, den BRAIN TENTACLES auch konsequent nutzen, um mit ihrem Songwriting zu experimentieren. Humoristisch selbstreferenziell heißt es „Fuck Rock n‘ Roll-Sax“ in „Gassed“, bevor so etwas wie ein verdrehter Blues-Fiebertraum über den Hörer hereinbricht. „The Spoiler“ knüppelt sich dagegen durch punkige Core-Gefilde. Der Song kommt inklusive dem fast schon manischen Getrommel von Witte, der wutentbrannt auf die Felle und Kessel eindrischt. Bei „The Sadist“ packt er die kalten, rasenden Blastbeats heraus. Zusammen mit dem massivst verzerrten Geschrei von Lamont kommt der Song damit einem bizarren Mix aus Black Metal, Sludge und Jazz gleich.
Das folgende „Fata Morgana“ bietet dann schließlich eine akustische Insel der Erholung. Der hallende, höhenlastige Bass führt durch den ruhigsten Song des Albums, während das Saxofon immerzu atmosphärische Klangtupfer beisteuert. Auch liefert Lamont hier seine zurückhaltendste Gesangsdarbietung ab. Allein die Drones und die Noises im Hintergrund lassen Übles erahnen. Und dieses tritt dann im anschließenden „Peace In War“ wieder ein. Der Rausschmeißer „Palantine“ ist dann doch wieder wesentlich erholsamer, zumindest bis der Song nach knapp drei Minuten deutlich an Heaviness gewinnt. Schließlich weicht der Song einer Reihe von Telefonaten, in denen über – was auch sonst – BRAIN TENTACLES diskutiert wird.
Energie und Wahnsinn
BRAIN TENTACLES haben hier ein reichlich bizarres, druckvolles Debüt auf die Welt losgelassen. Die Musik ist destruktiv und kompromisslos, überraschend, frisch und teilweise einfach nur schräg. Durch das zum Teil sehr konzise Songwriting haben Längen keine Chance. Allein der Übergang vom Rausschmeißer zum „Outro“ hätte geschmeidiger verlaufen können. Die Produktion ist richtig dreckig, untermalt so den aggressiven Charakter der Songs. Und die Leistungen der Musiker stehen auch außer Frage. Wir dürfen gespannt sein, was die Herren uns in Zukunft noch kredenzen werden. Totaler Abriss!
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