Es ist Herbst und BORIS sind „In The Mood For Love“. Und „Evol“. „Love & Evol“ heißt jedenfalls dieses neue, konzeptartige Werk der japanischen Experimental Doom-/Drone-Urgesteine, die rein quantitativ gesehen einen beeindruckenden Backkatalog aus Studioalben, Kollaborationen (u. a. mit SUNN O))) oder MERZBOW) und dergleichen vorweisen können. Dass die Band dabei qualitativ nicht immer an vorderster Zeitlupenfront mitkämpfen konnte, erklärt sich aus der Menge heraus – immerhin liegt hier das 25. Studioalbum vor. Und doch hat das Trio 2017 mit dem aggressiven „Dear“, das eigentlich das Abschiedsalbum hätte sein sollen, wieder eine gute Platte veröffentlicht, bei deren Sessions viel mehr Material entstanden ist, als für diesen Rundling nötig war.
Die Liebe in Zeitlupe?
Ob sich das Material des hier vorliegenden „Love & Evol“ [mal mit einem ø oder einem φ stilisiert, mal nicht, weshalb hier der Einfachheit halber die „normale“ Schreibweise beibehalten worden ist, Anm. d. Red.] ebenfalls aus diesen Sessions speist, geht nicht aus der Presseinfo hervor. Falls dem so sein sollte, dürfte das aber ein Indiz dafür sein, warum das Album analog zum Titel weit weniger offensiv lärmt und in seinen ruhigeren Passagen verträumter daher kommt. Enorme Gitarrenwände türmen sich zwar immer noch auf, zum Beispiel auf dem Instrumental-Track „Coma“, üben aber längst nicht den gleichen Zwang aus, der noch „Dear“ auszeichnete.
Insgesamt zeichnet sich „Love & Evol“ aber ohnehin als Werk aus, das sich wenig überraschend um das Thema Liebe im weiteren Sinne dreht. Daher passt der etwas sanftere, musikalische Ansatz also, zumindest was das zentrale Thema angeht. Es geht dabei natürlich Doom-typisch weniger um Bienen, Blüten und das Dazwischen, sondern mehr um das Leiden unter dem Gefühl der Liebe als solches – was jedoch nicht gleich eine negative Konnotation bedeuten muss. Das Ganze präsentiert sich dank der sanfteren Töne, die BORIS hier vermehrt anschlagen, stellenweise fast schon als Shoegaze-Album mit Drone-Flair, wobei die hymnischeren Momente wie in der Hook von „EVOL“ sogar einen dezenten Indie-Rock-Appeal aufweisen.
Zwischen Doom-Walzen und musikalischer Schönheit
Dennoch nehmen sich die Japaner natürlich ausnehmend Zeit, um das Doom-Riff als solches zu zelebrieren. In dessen raumgreifenderen Momenten, wie zum Beispiel im Instrumental-Track „uzume“, liefert Atsuo am Schlagzeug mehr sporadische, perkussive Begleitung, während die meditativ zelebrierten Riff-Wände auf einem Noise-Teppich dahin getragen werden. Ähnlich fällt der Rausschmeißer „Shadow Of Skull“ aus, das zudem mit einer eingängigen Hook daher kommt. Auch hier sorgen eingestreute Noise-Elemente wie etwas im Hintergrund, das wie ein schmerzvolles Aufheulen klingt, für eine angespannte, eindringliche Stimmung, die das tranige Riffing noch weiter unterstreicht.
„LOVE“ bietet da eher etwas, das dem traditionelleren Doom näher steht: Neben einem bestimmteren Rhythmus und breitwandigen Gitarrenwalzen ertönt hier der herrlich wehklagende Gesang, der besonders in der Hook einen enormen Eindruck hinterlässt und sich in die Hirnwindungen fräst. Doch zwischen diesen schweren Momenten finden sich eben auch immer wieder Momente von purer, musikalischer Schönheit, wie zum Beispiel das elegante „In The Pain(t)“ einer ist. In diesen Passagen laufen BORIS natürlich etwas Gefahr, gerade im Anbetracht der zentralen Thematik in Kitschigkeit abzudriften, wovor sich etwa der Opener „Away From You“ allein durch seine Jam-artigen Vibes hütet.
BORIS opfern etwas von ihrem Zwang – mit Erfolg!
Insgesamt wirkt „Love & Evol“ zu gleichen Teilen auf aussagekräftige Songs fokussiert, aber eben auch wie erwähnt weniger zwingend und kühn als „Dear“. Das ist mit dem Fokus auf Atmosphäre und Stimmung sowie der zentralen Thematik des Werkes jedoch jederzeit nachvollziehbar – der Mut zu weniger Zwang hat sich im Interesse der Songs definitiv ausgezahlt. Und dieser Hang zur Atmosphäre nimmt auch nicht exzessiv überhand, sondern wird stets im rechten Moment durch die nächste Doom-Walze aufgebrochen. Die Platte benötigt natürlich Zeit und ist ein Grower vor dem Herrn, aber sowohl der musikalische Gehalt wie auch der lyrische Kern lohnen sich, entdeckt zu werden.
Geil, wie immer. Zum Jahresende kommt ja noch ziemlich viel geiler Scheiß raus, passend zum Weihnachtsgeld..
Da du hier ständig was von Schammasch faselst, Nili, habe ich mir deren neues Album „Hearts of No Light“ zugelegt. Das ist ja echt mal geil! Danke für den Quasi-Tipp – aber lass dir das nicht zu Kopf steigen. 🙂
Also, nicht, dass ein Dank von mir eine hohe Anerkennung wäre – aber is‘ klar, wie ich das meinte.
War mein Gefasel ja für was gut. 😉