Das neue BLIND GUARDIAN Album kommt mit seiner Veröffentlichung im Spätsommer zwar langsam in Sicht. Wohl wissend, dass man das vierjährige Veröffentlichungsintervall aber mal wieder voll ausreizen wird, schicken die Krefelder einen Botschafter in Form der Single „Fly“ vorweg, der den hungrigen Fans den Rest des beschwerlichen Wegs bis zum Album-Release etwas erleichtern soll. Darauf enthalten sind neben dem Titeltrack „Fly“ zwei Stücke, die nicht auf dem Album enthalten sein werden, und einen Kauf für Fans somit schon zur Pflicht machen.
Ich war ja ganz schön gespannt, wohin die Reise nach dem schwierigen „A Night At The Opera“ gehen würde und habe schon mit dem schlimmsten gerechnet. Nämlich dass die Blinden Gardinen ihr Heil vollends in progressiven Gefilden finden und die Taue, die sie noch an ihren einstigen Gestaden hielten, kappen würden. Ich war also auf alles vorbereitet.
Dass ich beim ersten Durchlauf des Titeltracks jedoch trotzdem erst einmal schlucken musste, hat mich dann doch überrascht! Denn der klingt anders. Und damit meine ich zunächst einmal: sehr untypisch für BLIND GUARDIAN. Man bewegt sich weder großartig zurück zu den eigenen Wurzeln, noch verharrt man auf dem Stand der Nacht in der Oper. Mit bekannten Trademarks hält man erst einmal hinter dem Berg. „Fly“ präsentiert sich als ziemlich treibendes Stück, das in seinem Verlauf so viele frische, abwechslungsreiche – und vor allem verdammt gut klingende – Ideen auffährt, dass man glaubt, Hansi & Co. hätten sich mal wieder richtig austoben wollen. Der Song alterniert zwischen pompösem Speed Metal und fast schon Artrock-artigen relaxten Stellen, die sich überraschenderweise perfekt ergänzen. Eines offenbart die Single: die Kreativtanks sind randvoll nach vier Jahren Pause. Neben stilfremden Einlagen wie der Synthie-Percussionbegleitung, die schwer an Achtziger Jahre Rock der Marke GENESIS oder FOREIGNER erinnert, kommen auch die typischen singenden Gitarren, die Chöre und Hansis markanter Gesang zum Tragen. Und schon bald entwickelt „Fly“ ungeahnte Ohrwurmqualitäten. Ich hätte nichts dagegen, wenn das kommende Album mehr davon auffahren würde.
Mit dem folgenden „Skalds And Shadows“ machen die Jungs dann wirklich restlos alle Fans glücklich. Die bedeutungsschwangere Ergänzung „acoustic version“ verspricht nämlich nicht mehr als sie zu halten vermag, sondern schürt die freudige Erwartung vollkommen zurecht. „Skalds And Shadows“ ist ein sehr schöner, folkloristischer Song, wie er für BLIND GUARDIAN schon als traditionell gelten muss, und der ohne Probleme zwischen Klassikern wie „A Past And Future Secret“ und „Bard’s Song“ bestehen kann. Akustische, zweistimmige Gitarren, Flötenklänge und vorsichtige Percussioneinlagen dürften jeden Fan in Verzückung geraten lassen. Auf dem Album wird der Song wohl in einer voll orchestrierten Version zu finden sein.
Mit dem abschließenden „In A Gadda Da Vida“ sorgen BLIND GUARDIAN für neuen Stoff für ein „The Forgotten Tales 2“, indem sie sich dem IRON BUTTERFLY Klassiker schlechthin annehmen und ihn in ein ziemlich flottes Metalgewand stopfen. Wer dachte, den Zugang zu BLIND GUARDIAN mit „A Night At The Opera“ verloren zu haben, sollte bei dieser Single unbedingt mal ein Ohr oder zwei riskieren. Er dürfte überrascht sein…
‚Fly‘ ist eindeutig besser geworden als sämtliche(!) Stücke der ANATO-Phase (wobei auch hier eine kurze Eingewöhnungsphase ob des neuen Gewandes nötig war). Auch ‚Skalds and Shadows‘ weiß zu überzeugen und steht wie bereits im Review erwähnt nicht hinter seinen älteren Vettern zurück (vielleicht sogar etwas besser als ‚Harvest Of Sorrows‘ (mMn das beste Stück der ANATA-Zeit) und vor allem deutlich weniger Kitsch als bei ‚The Maiden And The Minstrel Knight‘). Es bleibt nur zu hoffen, dass sich diese Qualität auch auf dem Album fortsetzen wird, denn dann ist für mich mit den Gardinen wieder alles in Butter, einzig Thomens Weggang ist bedauerlich, hat aber zumindest der Single nicht weiter geschadet (Frederik spielt sogar Flöte). Daumen hoch!
Die allgemeine Euphorie betr. "Fly" kann ich nicht teilen: sicher, die Band wendet sich vom völlig überproduzierten und dabei kompositorisch inakzeptablen Vorwerk ab, mit der Akustikballade "Skalds…" gelingt es auch, fast so zu klingen wie zu seligen "Imaginations"-Zeiten, aber der Gesangsstil wirkt wie bei Rock’n’Rolf antiquiert, die Songs können sich nicht zwischen Moderne und Tradition entscheiden und offenbaren das Manko der Band: Ihre Zeit ist vorbei, B.G. waren nie progrockig, trotz der letzten überkanditelten Scheibe, andererseits haben sie alles, was sie können, bereits gemacht. Die Zeit für schnellen mit Kastratengesang überladenen Metal mit queenartigen Chören ist vorbei. Wie Edguy, die sich in die Ulk-Ecke flüchten, Halloween, die krampfhaft den "Keeper" aufleben lassen wollen oder Maiden mit ihren Oh oh oh-Refrains samt Alexander-the-great-attitude scheitern auch Kürsch und Co., da sie nicht mit wirklich zündenden Ideen aufwarten.
Musikalisch lässt sich hier absolut nichts kritisieren, FLY verbindet etwas Progressivität von ANATO mit den Fantasy Melodien der älteren Alben. Aber irgendwie langweilt mich diese Single. Fast ebenbürtig kommt das Cover daher, fantastsisch designed und doch legt man es nach einem Blick sofort als Blind Guradian Standartwerk ab und ist nicht weiter beeindruckt. Gleiches gilt auch für die Single FLY, welche vielleicht auch dem Kompromiss aus persönlicher Weiterentwicklung und alten Tugenden zum Opfer gefallen ist. Auch mit der Akustikballade SKALDS… geht mir das nicht anders, sehr nett, aber doch irgendwie nur B-Seiten Qualität, da fehlt das Fünkchen absoluter Hingabe, die einen guten Songs meisterlich werden lassen. Da FLY der untypischste Song auf dem neuen Album sein soll, schöpfe ich noch Hoffnung, aber vermute das Blind Guardian sich doch etwas zu sehr auf ihren Lorbeeren ausruhen und alte Tugenden lediglich in neue Gewänder gekleidet haben.
Nichts für mich. Die alten Blind Guardian waren viieeeel besser. Da hör ich mir lieber die Forgotten Tales oder Nightfall in Middle-Earth an.