Ich hatte immer den Eindruck, dass sich Wes Borland in seiner million-records-selling-band LIMP BIZKIT unter Wert verkauft. Er hätte zwar nie Grund zum Klagen gehabt, schließlich gab der Erfolg ihnen Recht, doch in dem kreativen Kopf musste einfach mehr stecken.
LIMP BIZKIT sind de facto Geschichte, und Borland hat sich anderen Ufern zugewandt. Er zeigt sich als begnadetes Talent für bezaubernd-verstörende Malereien, aber auch musikalisch galt es, neue Wege zu beschreiten. Vor allem das Projekt THE DAMNING WELL dürfte in Erinnerung geblieben sein: Mit Richard Patrick (FILTER, ARMY OF ANYONE), Danny Lohner (NIN) und Josh Freese (A PERFECT CIRCLE, VANDALS, GUNS N‘ ROSES, etc.) steuerten sie den hammerstarken Song „Awakening“ zum Underworld-Soundtrack bei.
BLACK LIGHT BURNS ist quasi der spirituelle Nachfolger dieses Projektes, und vereinigt viele Einflüsse, die im Laufe der Zeit auf Borland und seine Mitstreiter eingewirkt haben. So vielseitig, wie die Biographien der Musiker ist auch „Cruel Melody“ ausgefallen.
Beim Aufmacher „Mesopotamia“ hat man zunächst das Gefühl, in der neuesten Platte von QUEENS OF THE STONE AGE gelandet zu sein. Ziemlich schräger Rock mit Stoner-Attitüde, prägnantem, hypnotischen Gitarrensound und antagonistischem Gesang. Im letzten Viertel des Songs wird beinahe schon düster und psychedelisch. Schon an dieser Stelle wird deutlich, warum Borland „Cruel Melody“ auch zur Hälfte als Schlagzeug-Album sieht. Freese verleiht dem Album viel Energie, Variabilität und Frische.
Der nächste Song „Animal“ kommt erst sehr elektronisch in Fahrt und mündet dann in einem deftig rockenden Refrain. Noch viel besser schafft das das nachfolgende Stück „Lie“: Hier ist die Hintergrundmelodie noch stimmiger, und wenn dann die fetten Gitarren einsteigen, geht’s richtig los. Erinnert ein bißchen an die New-Metal-Jahre, klingt aber gleichzeitig eigenständig und modern genug.
Generell ist der Gitarrensound sehr breit angelegt und wird für jeden Song neu angepasst. Da steckt wie schon erwähnt ein bißchen Metalsound drin, ein bißchen Rock und auch in Richtung Industrial und Alternative wird geschielt. Und alles dann jeweils auf voller Leistung, je nach Bedarf und Stimmung. Nach den ersten vier Songs mit Vollgas und Aggression, werden dann mit dem Titelsong „Cruel Melody“ versöhnlichere Töne angeschlagen. Wes Borland ist zwar kein Meistersänger, aber die aggressiven Parts beherrscht er ebenso wie den im Bassbereich verorteten klaren Gesang.
Ein weiteres Highlight folgt wenig später mit dem starken „4 Walls“, bei dem auch gleich noch mal QOTSA-Feeling aufkommt. Das nachfolgende „Stop A Bullet“ atmet dagegen wie das vorherige „Coward“ ein bißchen vom Geist NINE INCH NAILS‘.
Mein persönlicher Favorit folgt dann mit „One Of Yours“, einem Song, wie er auch aus der Feder von Richard Patrick stammen könnte. Und so ganz überraschend ist das nicht, da Borland und Freese ja auch direkt am neuesten FILTER-Album beteiligt waren. Da hat man sich gegenseitig inspiriert, und so hat dieser Song vermutlich den coolsten und mitreißendsten Refrain auf diesem Album und dazu ein absolut FILTER-typisches geiles Finale des Songs.
Dieses Finale ist auch gleichzeitig der Punkt, an dem Härte, Aggression und wuchtiger Sound stark zurückgefahren werden. Dass für den letzten Song eines Albums oft eine entspannend ruhige Nummer ausgewählt wird, ist nichts ungewöhnliches, aber dass gleich drei Songs diesen Part übernehmen, hört man dann doch nicht so oft. Es vollendet die Bewegung des Sounds, der zunächst von Aggression über Emotion zu einer Art Offenbarung führt.
Mit „Iodine Sky“ schließt ein sehr vielseitiges, facettenreiches und emotionales Rockalbum, welches man sich als aufgeschlossener Hörer und Liebhaber der erwähnten Projekte unbedingt mal notieren sollte. Man merkt, welche intensive Entstehungsgeschichte und welcher Wandel hinter diesem Album steht, das eigentlich ganz anders ausfallen sollte, und so ganz scheinen Borland und seine Mitstreiter noch nicht den goldenen Schnitt gefunden zu haben. Die richtig mitreißenden Momente lassen noch zu lange auf sich warten. Dennoch ist „Cruel Melody“ ein starkes und beachtenswertes Album geworden. In den USA seit 2007 erhältlich, jetzt nun auch bei uns, und in der limitierten Deluxe-Version sogar mit Bonus-Tracks und DVD.
Ich finde das Album absolut großartig, so gut wie jeder Song ist ein absoluter Ohrwurm. Nur den etwas aus dem Rahmen fallenden Opener finde ich nicht ganz so prall.