Im Schlussteil des abenteuerlichen Simplicissimus (Simplicius Simplicissimus von Grimmelshausen) trifft der Erzähler auf einen Baldanders, der, zunächst versteinert, seine Gestalt von der Sau zur Bratwurst zum Kuhfladen und so weiter wechselt.
„Ich sehe wohl, daß du bald anders bist; denn erst warest du ein toter Stein, jetzt aber bist du ein beweglicher Leib, wer bist du aber sonst, der Teufel oder sein Mutter?„
Sodann gibt er dem Helden der Geschichte ein Worträtsel auf: „Ich bin der Anfang und das End, und gelte an allen Orten.“
BALD ANDERS bauen Rätsel und Miniaturen
Ebenso scheint es sich mit den pittoresken Miniaturen von „Spiel“, die dem Hörer inhaltlich und musikalisch charmante kleine Knobelaufgaben aufgeben, darzustellen. Analog dazu wechseln BALD ANDERS dauernd ihre musikalische Gestalt und mäandern zwischen rockigen Tönen, Heimorgel-Inferno und Theremin-Walzer.
„Spiel“ beginnt aber zunächst einmal düster rockend mit „Das achte Haus“ und „Drei Wünsche“. Auch das starke „Le Fuet“ spielt mit solcherlei rockigen Klängen. Im weiteren Verlauf kennen BALD ANDERS keine kreativen Begrenzungen, was allerdings insbesondere in der zweiten Albumhälfte zu Lasten der Hörbarkeit geht. Stücke wie „Fantasma“, „Pestulon“ oder „Der Onkel“ tragen dazu bei, dass „Spiel“ sicherlich die größte Obskurität des Jahres 2018 darstellt. Wenn bei „Rosenspalier“ das Theremin zu Walzertakten wimmert und absonderlichster Gesang ertönt, verlieren BALD ANDERS sicherlich auch den einen oder anderen Hörer im Dickicht ihrer Gedankenwelt. Kollateralschäden? Die Band schert sich vermutlich wenig darum.
Denn die Gebrüder König, die in BALD ANDERS involviert sind, haben alle szenetypischen Bürden abgelegt und experimentieren auf „Spiel“ hemmungs- und rücksichtslos. LUNAR AURORA setzen bereits eigene Grenzen, beispielsweise mit Texten in Mundart auf „Hoagascht“ (2012), aber BALD ANDERS kennen keinerlei traditionelle Konventionen. Denn die Einflüsse auf „Spiel“ sind mannigfaltig und obskure Bands wie ANGIZIA (Das Schachbrett des Trommelbuben Zacharias, 1998) haben Spuren hinterlassen.
„Spiel“ lockt den Hörer
Abschließend soll auch die fantastische Illustration aus der Feder von Benjamin König (Sperber Illustrationen) nicht unerwähnt bleiben. Für jedes Stück wurde eine kleine Zeichnung angefertigt, die, liebevoll und märchenhaft, auch in einem Kinderbuch Platz finden würde. BALD ANDERS locken den Hörer in diese geheimnisvolle Welt, welche allerdings nur mit einer gewissen Offenheit für abwegige Klänge voll erschlossen werden kann. Das soll uns genügen für heute.
Was für ein Album!