Wenn man im Hardrock Bereich sowieso keine musikalische Weiterentwicklung erwarten darf, sollte man wenigstens davon ausgehen können, dass eine neue Platte zumindest so gut wie der Vorgänger. Kritisch wird dieser Maßstab aber, wenn ein Musiker älteren Jahrgangs bereits 11 Studioalben unter eigenem Namen sein eigen nennen kann und damit auch irgendwie die Motivation, sich immer wieder zu verbessern, so langsam flöten gegangen ist. Zumindest kommt mir das bei AXEL RUDI PELLs „Mystica“ nach dem gelungenen letzten „Kings And Queens“ so vor.
Das fängt schon bei der fehlenden Abwechslung an. Wurde man früher nach dem Intro immer mit einem flotten Uptempoknaller wie „Earls of Black“ oder „Flyin‘ High“ begrüßt, tobt sich der sonst so begeisternde Sänger Johnny Gioeli heute eher verhalten im Midtempo Opener „Fly To The Moon“ aus. Zwar ist auch der nicht schlecht (Ohrwurmrefrain), aber a) ging das Experiment die Strophen vom Schlagzeug niederzuknüppeln eindeutig auf Kosten der Dramatik, und b) ist es auch keine gute Idee, auf einer Rock-Platte die ersten 4 Songs komplett im klassischen Midtempo zu halten. Wenn es mit „No Chance to Live“ nach 25 Minuten endlich auf die erste Ballade zugeht (die zwar atmosphärisch stark ist, aber ein bisschen an „Sea Of Evil“ erinnert), ist das Gehör bereits so von simplen Powerchords zertrümmert, das man nicht mehr wirklich weiß, ob man die Scheibe noch zuende hören will. Gerade Fans die schon mehr Platten von Pell im Schrank haben, werden an der ersten halben Stunde der Platte keine wirkliche Freude haben.
Glücklicherweise ist „No Chance To Live“ dann aber auch die versöhnliche Kehrtwende zu alter Qualität. Der folgende Titeltrack vereint starke Melodien mit einem sich groovig austobenden Mike Terrana und dem ersten wirklich gelungenen Solo der Platte (ohne Probleme gleichzusetzen mit dem von „Strong As A Rock“ auf dem Vorgänger) zu einem dynamischen Atmosphäre-Meisterwerk. Die eigentliche Überraschung ist aber das gottgleiche Spukschloss Instrumental „Haunted Castle Serenade (Opus#4 grazioso e agresso)“, welches wirklich vor stimmungsvollen Solipassagen nur so strotzt, ohne in sinnloses Gefrickel zu verfallen. Mehr davon!
Positive Überraschung Nr. 3 dann im überlangen Abschlusstrack „The Curse Of The Damned“. Zwar ist es nicht unüblich am Ende nochmal eine 10 Minuten Nummer rauszuhauen, aber wenn man nach 6 Minuten Halbballade urplötzlich in einem Wahnsinnsbreak ne arschcoole Uptempopassage runtergebolzt hört (leider die einzige des Albums – dafür aber mit Hammond Orgel Einlage), dann ist das für Hardrock Verhältnisse geradezu rebellisch. Und versöhnlich, wenn man sich an die mäßige erste Hälfte der Platte erinnert. Im versucht kraftvoll runtergedrücktem Refrain offenbart sich aber eine letzte Schwäche im Gegensatz zum Vorgänger: Das Schlagzeug ist deutlich zu basslastig und wummernd. Zwar ist mir nicht bekannt wer „Mystica“ abgemischt hat, aber nach Charlie Bauerfeind klingt es nicht mehr.
Ein zwiespältiges Ergebnis also. „Mystica“ ist zu durchwachsen um wirklich in die Hard Rock Hall of Fame einzugehen, hat aber auch einige zu starke Songs um von AXEL RUDI PELL Fans nicht gekauft zu werden. Wer eine Einstiegsdroge sucht, sei besser mit dem Vorgängeralbum beraten.
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