Avery - Lie, Cheat & Steal

Review

Was hat Schlamm eigentlich mit Musik zu tun? Sludge-Rock, zu dt. Schlamm-Rock, so nennen die vier Wahlberliner von AVERY ihre Musikrichtung. Irgendwie will mir dazu nur eine Assoziation einfallen: Wenn man „Lie, Cheat & Steal“ hört, hat man das Gefühl, einem würde ein riesiger, dreckiger, harter Klumpen Matsch direkt in die Fresse klatschen. Anfangs regt man sich ungeheuer darüber auf, denn wer hat schon gerne Schlamm in der Beißleiste und dem Riechzinken hängen. Doch hat man erstmal zurückgeworfen und suhlt sich wie auf total verregneten Festivals in der braunen Brühe, findet man Gefallen an der Sache. Um es kurz zu machen und wieder auf die Musik zu sprechen zu komen: Diese CD braucht einige Durchläufe, bis sie zündet. Gewöhnungsbedürftig ist eine Mischung aus rotzigem Rock der Marke HELLACOPTERS/GLUECIFER, der schweren Dampfwalzenhaftigkeit von ENTOMBED/EYEHATEGOD, manisch-psychotischen Wutausbrüchen a la NEUROSIS und einer KYUSS-artigen Portion Stoner Rock allemal. Gewinnt man aber einen Zugang zu diesem heftigen, explosiven, zerstörerischen Cocktail, wird man von den Gitarrenwänden, die mal brutal ins Gemächt treten und mal bekifft-neurotisch-verklärt im Raum stehen, automatisch in Bewegung gesetzt. Hervorzuheben ist auch der meist in Emo-/Hardcoregefilden ansässige Gesang von N. Webers, der die durch die Musik erzeugten Stimmungen und Emotionen perfekt zum Ausdruck bringt. Damit dies aber adäquat geschiehen kann, muss die Produktion stimmen, denn solche Musik, wie AVERY sie spielen, neigt dazu, soundmäßig zu vermatschen (ach deswegen heißt es Sludge-Rock!). Doch auch hier kann man Entwarnung geben. Die Band hat zusammen mit Stefan Linde in den Berliner K4-Studios einen glasklaren, transparenten, stets druckvollen Sound eingefangen, bei dem keine Einzelheit verloren geht. AVERY machen keine Musik für die breite Masse. Dafür ist sie zu trendfrei, zu eigenständig in der Mischung der Elemente. Wer aber einen Zugang zu ihrem Zweitwerk „Lie, Cheat & Steal“ findet, dem eröffnet sich ein Album, das nicht langweilig wird, immer etwas Neues offenbart und gehörig in den Allerwertesten tritt. Als Anspieltipps seien der kurze, aber heftige Opener „Hyena Hymn“, der Rocker „Cassandra Complex“, der Aggro-Stampfer „Puppets With Knives“ und das manische „Ryggradslös“ (,das keinesfalls rückgratslos ist) mit auf den Weg gegeben. Neben
der über TFR veröffentlichten CD-Version ist übrigens auch eine LP-Auflage erhältlich. Für das Vinyl sind Incendiary Records zuständig. Und jetzt ab in den Schlamm!

24.07.2002

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