Avandra - Prodigal

Review

Den Prog Metal zurück zu seinen Wurzeln führen, dorthin wo er einst unter anderem bei DREAM THEATER aufkeimte, bevor die New Yorker zu einem globalen Prügelknaben für instrumentalen, selbstzweckdienlichen Auto-Fellatio geworden sind – das war Christian Ayalas erklärtes Ziel zu Zeiten des Zweitlings „Descender“ seiner Prog-Band AVANDRA. Der Puerto-Ricaner hatte dieses, gebeutelt vom Hurrikan Maria 2017, unter schwierigen Bedingungen konzipiert (er berichtete) und trotz dieser dramatischen Umstände ein hervorragendes, zugleich kontemporäres und doch angenehm aus der Zeit gefallenes Werk geschaffen. Seitdem hat sich viel getan, die Band hat ein drittes Album namens „Skylighting“ veröffentlicht, das zumindest bei mir komplett unter dem Radar durchgeflogen ist.

Prog aus Puerto Rico – zum Vierten

Nun, anno 2022, ist Album Nr. 4 namens „Prodigal“ veröffentlicht worden. Einmal mehr kann man Ayala und Konsorten, die mittlerweile ein solides Lineup bestehend aus dem Chef sowie José Miguel Vázquez, Luis Javier Rivera und Adrián Arroyo bilden, in Aktion erleben und wieder diesen Mix aus klassischer Dramatik und moderner Atmosphäre genießen. Das Cover lässt es vorweg vermuten, die Thematik ist heuer ein bisschen schwermütiger und konkreter als die übliche Metaphysik, in der sich der Prog nur allzu gerne verliert. Auch wenn es hier Reflexionen zum Thema Heimat gibt, leitet beispielsweise eine Rede Eisenhowers in den eröffnenden Track „Codename Pharaoh“ ein, in dem es im weiteren Sinne um Krieg geht.

Eine der markanten Stilmerkmale in Ayalas Klangkosmos ist der mehrstimmige Gesang, der gar nicht mal so wirklich inbrünstig intoniert wird und daher oftmals den atmosphärischen Aspekten der Musik in die Karten spielt. Die mehrfach clean gespielten Passagen, die immer wieder auftauchen, lassen diesen Gesangsstil natürlich dergestalt profitieren, dass sie sagenhafte Gänsehautmomente hervorrufen, wobei derartige Hooks selbst über einer Wall Of Sound gleitend immer noch bestens funktionieren. Ebenfalls kehren die Stakkato-Gitarren der Marke CYNIC/frühere DREAM THEATER zurück, die diesmal u. a. „A Trace Of Home“ veredeln. Was speziell bei den lauteren Momenten auffällt, ist allerdings, dass der Mix heuer etwas weniger aufgeräumt klingt als vorher.

„Prodigal“ klingt bisweilen wüster und heavier als noch „Descender“

Das kristallisiert sich immer dann besonders prägnant heraus, wenn der Metal-Anteil mal richtig aufgedreht wird wie in „In Memoriam“ oder im geradezu Post-Metal-artigen „Dissembling The Artifice“, was jedoch wie so oft im (guten) Prog gewollt klingt. Die fett bratenden Gitarren sind extrem fuzzy und klingen wüst, aber es ist nicht gerade das, was man als „oppressiv“ bezeichnen würde. Also keine klaustrophobischen Soundwände, die alles unter sich begraben. Stattdessen ist eine irgendwie doch noch ausreichend warme Textur erkennbar. Dieser Mut zum Noise in Kombination mit gutturalen Vocals zahlt sich aus und produziert einige der spannendsten, aber auch heaviesten Momente des Albums, die sinnvoll zwischen die ruhigeren, kontemplativen Passagen der Platte eingestreut sind, um die Hörerschaft immer mal wieder ruckartig aus ihrer Trance zu erwecken.

Wer denkt, dass dies irgendeine Form von Langeweile in den ruhigeren Momenten implizieren soll, irrt. Denn AVANDRA gelingt es, selbst diese getrageneren Cuts ausgesprochen spannend und intensiv zu gestalten. Diese sind nun eben ein anderes Kaliber als die krachigen Momente, deutlich gedämpfter, sphärischer und fast irgendwie transzendental. „Facing An Armoured Dreadnought“ ist ein faszinierendes Beispiel, in dem die cleane Gitarre über einen filigranen, elektrischen Beat hinweg schwebt und in Kombination mit Ayalas hallendem und mit sich selbst multipliziertem Gesang eine fast Ambient-artige Erfahrung zum seeligen Davonschweben darstellen. Ebenfalls in diese Kategorie fällt „New Beginnings“, das insgesamt aber etwas geschäftiger aufgezogen ist.

AVANDRA vereinen erneut den Blick ins Vergangene mit einer Sensibilität fürs Moderne

Und wer seinen Prog Metal dann doch lieber Hook-zentriert bevorzugt, findet dies in „The Downpour“, das im Grunde die retrospektiven wie zeitgenössischen Sensibilitäten, die AVANDRA auf „Descender“ so schön zur Schau gestellt haben, in einem waschechten Kracher bündelt und gerne als Einstiegsdroge in die hiesige Trackliste verstanden werden darf. Es ist also für jeden was dabei. Generell ist „Prodigal“ einmal mehr ein gelungenes, geschmackvolles Scheibchen aus der Feder der Mittelamerikaner, das von Freunden der neuen Prog-Schule gleichermaßen angetestet werden darf und soll, wie den Traditionalisten, die sich nach den progressiven Neunzigern zurücksehnen. Wie man es auch dreht: „Prodigal“ ist ein weiteres, feines Langeisen der Puerto-Ricaner und sollte nicht, wie der Vorgänger, unter dem Radar bleiben.

12.12.2022

Redakteur für Prog, Death, Grind, Industrial, Rock und albernen Blödsinn.

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