Autopsy - Live In Chicago

Review

Sicherlich kann man ausgiebig über den Sinn und Zweck von Live-Alben aus bestimmten Genre-Lagern diskutieren. Die einen werden behaupten, dass mit einem Konzertmitschnitt die Atmosphäre, Stimmung und Energie auf und vor der Bühne ins heimische Wohnzimmer transferiert werden. Die anderen mögen das musikalische Können der Band im Vordergrund sehen, für das eine Live-Performance als Beweismittel gilt. Wieder andere halten dagegen, dass bei einem Sub-Genre wie dem Death Metal weder Publikumsresonanz eingefangen werden kann (bis auf stumpfes Gegröle und das Brausen des Windes, verursacht durch geschütteltes Haar) noch auf eine allzu differenzierte Sound-Abmischung zu setzen ist.

AUTOPSY spielen ein brummendes Retro-Set

All jene Attribute treffen uneingeschränkt auf “Live In Chicago” zu. Chris Reifert bellt zu Beginn “we´re playing Death-Fucking-Metal” ins Mikro, die Antwort aus dem Zuschauerbereich fällt zurückhaltend aus. “Severed Survival” eröffnet das Set klassisch und ballert ordentlich nach vorne. Insgesamt folgen weitere acht Songs vom Erstlingswerk der Band, neueres Material wird indes kaum geboten.

Zwischendurch hört man quasi, wie die Metal-Heads vor der Bühne die Fäuste und Pommesgabeln emporrecken, während Reifert die jeweiligen Tracks wortkarg ankündigt. Der Bühnensound verabreicht dem Hörer schlussendlich die volle Breitseite. Das ist nicht immer von Vorteil, denn die technischen Finessen, die AUTOPSY normalerweise von reiner Brutalität trennen, lassen sich im wummernden Live-Sound nicht unbedingt heraushören. Unklar bleibt auch, warum der Retro-Hall auf Reiferts Stimme nicht wegretuschiert wurde.

Verpassen AUTOPSY mit “Live In Chicago” eine Chance?

Das zweite Album “Mental Funeral” wird insgesamt noch drei Mal zitiert (“Twisted Mass Of Burnt Decay”, “Fleshcrawl”, “In The Grip Of Winter”), allen weiteren Veröffentlichungen wird ganz profan nur mit einzelnen Songs Tribut gezollt. Damit vergeben AUTOPSY die Gelegenheit, eine Werkschau über die vergangenen Jahrzehnte und einen Best-of-Mix im Konzert-Gewand anzubieten. Bei “Live In Chicago” handelt es sich ja um das erste und damit einzige Live-Album der Band überhaupt. Ferner sind die Kalifornier vielen Death-Metal-Liebhabern gerade deshalb so ans Herz gewachsen, weil sie kontinuierlichen Content bieten und sich nicht mit jedem Album neu erfinden.

Ein mit Stolz gereckter Mittelfinger

Das Live-Set wird mit “Fuck You!!!” von der zuletzt erschienenen EP “Puncturing The Grotesque” zwar nicht für jeden zu einem Happy End gebracht. Aber man kann das Statement im Nachgang wunderbar in hellseherische Bahnen lenken. Immerhin handelt es sich bei der aufgezeichneten Performance um das letzte Konzert vor dem Lockdown. Und als hätte es der Autor der Setlist geahnt, könnten diese zwei Wörter als passende Botschaft an einen kleinen, hässlichen Virus verstanden werden.

Hardcore-Fanatiker müssen bei dem Album natürlich zugreifen. Alle anderen sind mit den regulären Studioalben besser beraten und sollten sich “Live In Chicago” allenfalls als Ergänzung zulegen. Das Artwork ist übrigens wieder sehr gelungen und kleidet AUTOPSYs Vorliebe für Gore und Splatter im Vergleich zu den Kollegen aus Buffalo in ein weitaus subtileres Gewand.

24.11.2020

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