Das Problem bei technischem Death Metal ist oftmals, dass er zwar entsprechend genial gespielt ist und nicht selten den Offenen-Mund-Effekt beim Hörer hervorruft, im Endeffekt aber eben bis auf spielerisch hohes Niveau nicht allzu viel zu bieten hat. Zum Beispiel ist das Songwriting sehr häufig nur auf unzählige Part- und Tempowechsel ausgelegt, ein stimmiges Funktionieren der Lieder sucht man dagegen vergeblich. Zudem liegt die Schwierigkeit bei technischem Spiel darin, trotzdem noch brutal oder aggressiv zu klingen. Das können leider nur wenige Bands. Wenn ich von technischem Death Metal spreche, meine ich nicht Truppen wie SUFFOCATION oder späte DEATH, sondern Knüppel-aus-dem-Sack-Combos wie CRYPTOPSY oder NECROPHAGIST. ATHERETIC aus Kanada sind ein Beispiel dafür, dass technisches Spiel und Voll-in-die-Fresse-Feeling sich nicht beißen müssen.
Beginnen wir beim relativ rauen, aber durchaus gut produzierten Sound, der dem Material die nötige Grundlage bietet, um zu funktionieren. Sei es Midtempo (vorausgesetzt man findet ihn auf diesem Album) oder die volle Breitseite, es klingt einfach nur megaheftig, was diese Typen hier vom Leder ziehen, womit wir auch schon beim spielerischen Talent wären. Jeglicher Versuch mitzuzählen, wie viele Parts auf „Apocalyptic Nature Fury“ in einem einzigen Song verwurstet werden, wird nach wenigen Sekunden scheitern, denn die Songs sind derart komplex, dass es für ein normalsterbliches Ohr nahezu unmöglich ist, Wiederholungen rauszuhören. Eventuell, wenn man das Album 20-40x gehört hat…
Um auf die Brutalität zurückzukommen sei gesagt, dass ATHERETIC einen wahnwitzigen Nackenbrecher nach dem anderen herausklotzen. Beeindruckend, wie es diese Band schafft, vordergründig im Uptempo-Bereich zu agieren und trotzdem nicht langweilig und eintönig zu klingen. Durch die Musik auf „Apocalyptic Nature Fury“ wird der Schädel des Hörers nicht nur einmal gespalten, sondern gleich mehrfach. Man könnte auch sagen, er wird nachhaltig matschig weich gekocht.
In Irrwitzigem Tempo frickeln sich die Kanadier durch ihr Album, und hinterlassen nicht einmal mehr eine Staubschicht zurück. Hier ein pfeilschnelles Riff, da ein umwerfender Lauf, dort ein abgedrehtes Fill. So geht es das gesamte Album über. ATHERETIC beherrschen dabei die Kunst, ihre Songs trotz der enormen Fülle flüssig zu halten. Nach 20 Sekunden haben diese Burschen bereits zehn Breaks hinter sich und trotzdem bekommt man nicht das Gefühl, es würde etwas stocken oder holpern. Eher neigt man unterbewusst dazu, seinen Zeigefinger mehrfach tippend an die Stirn zu führen, um den überwältigenden Eindruck des Albums irgendwie auszudrücken.
ATHERETIC ist auch nicht eine dieser technischen Bands, bei denen ein bis zwei Musiker im Vordergrund stehen und vom Können her das Sagen haben, nein, hier regiert jeder Musiker für sich und gleichzeitig im Kollektiv. Ständig hört man den Bass: Zängg, Pjöingg, Plangg, total irre; immer wieder spielen sich die Gitarren mit ihren (in der Tonlage) sehr hoch auslaufen Riffs in den Vordergrund, nur um vom beeindruckenden, sehr Break-lastigen Spiel ihres Oktopus-Drummers ergänzt zu werden. Die Instrumente wirken auch nicht gegeneinander, sondern spielen vorzüglich miteinander, was eine Wonne im Ohr eines anspruchsvollen Hörers sein sollte, nein, muss! Der leicht heiser gegrunzte Gesang gibt den Songs dann letztendlich die erforderliche Restbrutalität, um vollends zu zünden.
ATHERETIC überzeugen zu jeder Sekunde dieses Albums, dürften aufgrund der enormen Komplexität und der durchweg gehobenen Geschwindigkeit allerdings nur einen begrenzten Hörerkreis ansprechen. Nichtsdestotrotz ist „Apocalyptic Nature Fury“ ein musikalisch-technisches Wunderwerk sondergleichen. Wer meint, dass weiter oben angesprochene CRYPTOPSY oder NECROPHAGIST das Non-Plus-Ultra wären, sollte sich ATHERETIC geben und eines Besseren belehren lassen. Total geilomat abgefahren genial!
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