Eine Vision hat gemeinhin etwas mit Vorstellungskraft, Übersinnlichem und gewissen Erscheinungen zu tun – also etwas, dass von seinem atmosphärischen Auftreten lebt. Wobei demzufolge der äußere Rahmen ebenso eine wesentliche Rolle spielt, denn schließlich können hier Kleinigkeiten, ja Nuancen, die Welt markieren. ASTRAL SLEEP sind in musikalisch öffentlicher Bewertungsdimension eine wahrhaftig kleine Nummer. Mit knapp über 250 Facebook-Likes, einem Deal bei einem russischen Label für Doom-Feinschmecker und gerade einmal zwei Langwerken gehören die Finnen noch zu jenen Bands, von denen die Wenigsten bisher gehört haben dürften. Mich eingeschlossen. Das sollte sich allerdings an dieser Stelle ändern, dann habe ich mein Ziel erreicht.
Es wird bereits mehrschienig, wenn ich nur versuche, das praktizierte Genre der Finnen im Grundpfeiler zu umfassen. Die Basis begründet sich ohne Umschweife auf Doom Metal, der allerdings mit all seinen subkulturellen Armen am großen Kochtopf rührt. Ganz zentral stechen dabei vermutlich Funeral-, Death- und traditionelle Doom-Elemente heraus, doch die Nordlichter setzen die Übergänge derart perfekt verwaschen, sodass immer wieder entsprechende Fließformen entstehen, die irgendwo zwischen Erwähntem liegen. Thematisch behandelt der Vierer eine düster wirkende Traumwelt, aus Verzweiflung, Einsamkeit und stets aufflimmernden Hoffnungsfunken, die musikalisch eine glänzende Höruntermalung gefunden hat.
Schon der erste Song “Two Towers“ stellt für mich zweifelsfrei das beste Doom-Stück dar, dass ich in diesem Jahr hören dürfte. Setzen den Hörer zu Beginn lediglich scheinbar ewig währende Drumschläge und pressende Gitarrenwände von der Präsenz des Albums in Kenntnis, entwickelt sich in der Folge ein Track, der wahrhaftig all das aufweist, was einen starken, differenzierbaren Düster-Metal-Track ausmacht. So fahren sich ASTRAL SLEEP keineswegs in den sumpfigen Funeral-Doom-Gefilden fest, sondern machen sowohl musikalisch als auch atmosphärisch eine unwirkliche, träumerische Entwicklung durch, die mit dem Ende des Openers lediglich ein Kapitel dieser Reise niederschreibt.
Dabei schöpfen die Finnen einerseits aus ihren tollen, greifbaren Melodien, die immerzu einen düster vernebelten und gleichermaßen verträumten Anschein vermitteln sowohl andererseits aus der unglaublichen Stimmesvariation von Sänger und Gitarrist Markus Heinonen. Dieser growlt in unmenschlichsten Lagen, meistert verzweifelte Screams problemlos und singt auch in cleaner Form auf unheimlich vielen Ebenen. Auch wenn sich Heinonens Klargesang mittlerweile insofern gebessert hat, als dass er nun deutlich mehr Töne trifft, bleiben dennoch ein paar Unsauberkeiten hängen. Die sind allerdings zum einen nicht mehr ganz so gravierend und passen zum anderen in irgendeine Weise in das irreale Stimmbild dieser Platte.
Letztendlich gibt es auf “Visions“ soviel zu entdecken, dass man sich die Scheibe normalerweise den ganzen Tag in Dauerschleife reinbrettern müsste. Seien es die ausgeklügelten Übergänge oder die teilweise vollkommen verqueren Solopassagen, die mich ihrerseits irgendwie mit ihrer verspielten Art und Weise an einen vertonten Tim Burton in tiefdunkel erinnern. Die letzte Frage, die sich vermutlich stellen wird – warum dann keine Höchspuntkzahl? Ganz einfach deshalb, weil ASTRAL SLEEP nach den obergenialen ersten beiden Songs ein bisschen abfallen. Auch wenn dies noch so marginal sein mag, bleibe ich vorerst bei neun Zählern und dem persönlichen Prädikat des stärksten Doom-Albums 2012, das in der Folge von “Unawakening“ nochmal eine ordentliche Schippe draufgelegt hat.
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