Unter "Blast From The Past" erscheinen jeden Mittwoch Reviews zu Alben, die wir bislang nicht ausreichend gewürdigt haben. Hier gibt es alle bisher erschienenen Blast-From-The-Past-Reviews.
Es ist fast ein bisschen erstaunlich, dass sich speziell in der Erstbesetzung der AOR-Supergroup ASIA Charaktere aus der britischen Prog-Szene verbargen. Das Projekt entstand in einer Zeit, in dem der klassische britische Prog bereits an Bedeutung verloren und allmählich durch sein nordamerikanisches Äquivalent ersetzt worden ist. Da gab es für die Musiker der britischen Szene eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Entweder sie machten auf eigenes Risiko weiter wie bisher oder sie passten sich dem Trend zu mehr Herz, mehr Arenatauglichkeit und mehr „Wall Of Sound“ an. Und in diesem Falle entschied man sich für letzteres.
ASIA – ein kalkulierter Geniestreich seiner Zeit?
Die Gründung von ASIA sieht auf dem Papier aus wie eine durch korporative Interessen hervorgewuchtete Band, da z. B. das damalige Label der Band, Geffen Records, angeblich nicht eine Note vor dem Signing gehört hat, sondern sich wohl allein auf die Starpower der Protagonisten verlassen hat. Zunächst wurden Bassist/Sänger John Wetton (u. a. U.K., ex-KING CRIMSON) und Steve Howe (YES) zusammengeführt, man ergänzte sie schließlich um Geoff Downes (YES) und Carl Palmer (v. a. EMERSON LAKE & PALMER) und hatte eine Supergroup, die erstaunlicherweise nicht den Super-Prog spielte, den man bei diesem Namedropping erwarten würde.
Stattdessen spielte das Quartett Super-AOR, der mit Mike Stone (QUEEN) den richtigen Produzenten an die Regler gesetzt bekommen hat. Stone verpasste der Band einen Sound, der eine gewisse Überlebensgrößte suggerierte, zugleich aber ausreichend Farbe und Textur zur Schau stellte. Die Hooks kommen mit Pathos und großer, melodischer Bandbreite daher, während Wettons markanter Gesang für einige der memorabelsten Gesangslinien der Rock-Geschichte sorgt. Unterdessen klingt Howes Gitarre warm und klar, während Palmers Schläge mit enormen Hall versehen sind. Downes‘ mal schwelgerische, mal triumphale Keyboardlinien komplettieren schließlich das Bild.
AOR mit Klasse und Stil
Und die Klasse hierhinter stellt die Band von Anfang an klar: „Heat Of The Moment“ ist nicht nur der große Hit des Albums, sondern auch ein gelungener Einstieg, der gleichzeitig repräsentativ klingt. Der AOR-Kracher bringt eingängige Melodien und Gesangslinien mit, während zugleich mit der abwechslungsreichen Rhythmik eine Brücke zum progressiven Hintergrund der Musiker geschaffen wird. Rhythmisch noch aufwendiger gestaltet sich „Sole Survivor“, das deswegen jedoch nichts von seiner Eingängigkeit einbüßt. Die Progressivität stellt sich also zu keiner Zeit in den Vordergrund, sondern dient als Würze für die Songs, um diese einzigartig zu machen.
Das zeigt sich zum Beispiel auch im symphonisch arrangierten Intro von „Time Again“, das fast ein bisschen YES mitschwingen lässt. Im folgenden gewinnt der Song jedoch an Fahrt und entwickelt sich fast ein bisschen in Richtung Hard Rock. Das ändert allerdings nichts daran, dass sich das Stück wunderbar in die Trackliste einfügt: ASIA zaubern wieder ihre markant melancholische, pathetische Grazie aufs Parkett, inklusive klassischer Klavierlinien und Howes ornamentierender Gitarre. Auch „Cutting It Fine“ weist Referenzen an den Prog auf, zum einen wieder durch das Intro, andererseits durch den fast Bolero-artigen Schlussteil, der mit jubilierenden Melodien ausgestattet worden ist.
Große Songs für große Momente
Dass die Band nicht darauf angewiesen ist, ihre progressiven Muskeln spielen zu lassen, beweist sie dagegen in geradlinigeren Stücken wie dem balladesken „Only Time Will Tell“ oder dem wunderbaren „One Step Closer“, das mit einer sagenhaften Sahne-Hook versehen ist. Denn letzten Endes regiert hier nach wie vor der AOR in seiner eingängigeren, hymnischeren Variante. So ist zum Beispiel auch der Rausschmeißer „Here Comes The Feeling“ einer der großen Arena-Rocker des Albums, der das Album noch einmal mit einem herrlich käsigen Synth-Intro und – natürlich – einem Riesen-Refrain von Wetton zum Ende kommen lässt.
Ein bisschen schwächelt das Album zwischenzeitlich bei den schmalzigeren Momenten von „Without You“, zumindest bis der Song seine Vielschichtigkeit und Atmosphäre beeindruckend zur Schau stellt, die ihn dann letzten Endes doch nicht überflüssig macht. Darüber hinaus finden sich auf dem selbstbetitleten Debüt von ASIA nur Kracher am laufenden Band. Zum Teil erfrischend abwechslungsreich aber nie zu komplex komponiert, lieferte das All-Star-Projekt eine Reihe höchst eigenständiger Kompositionen, die ihre Haken dauerhaft in die Gehörgänge des Hörers schlagen, um dort zu bleiben.
Und danach…
Doch war das selbstbetitelte Debüt auch „nur“ ein großer Moment in der Geschichte der Band. Denn hiernach sollte es mit ASIA allmählich bergab gehen. Interne Konflikte vor allem zwischen Wetton und Howe und mal mehr, mal weniger erfolgreiche Wiederbelebungsversuche unter der Regie von Geoff Downes sorgten einerseits für ein höchst instabiles Lineup, andererseits für eine qualitative Inkonsistenz späterer Alben. Und dazu widmeten sich die einzelnen Mitglieder, die fleißig in die Band hinein und wieder aus ihr heraus rotierten, selbstverständlich auch regelmäßig ihren eigenen Projekten und Bands.
Das führte dazu, dass das hier und auf dem Nachfolger „Alpha“ vertretene, klassische Lineup bestehend aus Wetton, Downes, Howe und Palmer erst wieder 2008 mit „Phoenix“ zu hören sein sollte. Während John Wettons Krebsleiden die spätere Live-Aktivität der Band beeinträchtigte und er 2017 tragisch verstorben ist, scheint die Band selbst zumindest live aktiv bleiben zu wollen. Doch an die frühe Stärke wird das wohl nie anknüpfen, denn auf ihrem selbstbetitelten Album hat einfach fast alles gepasst. Es war diese Magie, die man seither versuchte, zu reproduzieren. Es war diese Magie, die seither synonymisch für den Begriff ASIA steht.
It was the heat of the moment…
Muss sagen, ich kenn alle Songs dieser Scheibe, aus’m Radio, Kneipe usw. wusste aber ernsthaft nie von welcher Band 😉
Will mich nun zum ersten Mal mit dem Gesamtwerk von „Asia“ näher beschäftigen und musste deshalb natürlich mit diesem Klassiker anfangen. Mir ist das Ganze persönlich eigentlich eine Spur zu fröhlich-kitschig, aber der AOR-Fan in mir wird davon natürlich angesprochen und technisch ist das einwandfrei gemacht. Die Gesänge sind super und dass jedes Mitglied der Band schon Erfahrung mitbringt, hört man auf jeden Fall. Selbst wenn mir nicht jeder Track komplett zusagt, so ist es schon bemerkenswert, wie spielend leicht hier kommerzieller/eingängiger Rock mit etwas Progressivem vermischt wurde. Besonders instrumental hört man nämlich die progressive Vergangenheit der Mitglieder immer mal wieder heraus. Das macht dieses Debüt verspielter und raffinierter, als es simple Rockmusik sein könnte und trotzdem ist es komplett auf den Mainstream-Sektor ausgelegt. Eine hohe Kunst und auch heute noch absolut hörenswert!