Artridge - Finished Soundtracks For Unshot Films
Review
Ein ganz harter Brocken, das Zweitwerk von ARTRIDGE, die derzeit in Berlin ihr Unwesen treiben. Für diejenigen, die mit der Geschichte dieses Projekts nicht vertraut sind: hier haben sich zwei weltenbummelnde Musiker mit Punk/Noise-Hintergrund zusammengefunden, die eigentlich Literaturstudent und Photograph/Filmer sind, aus New York und Amsterdam kamen und sich im Schmelztiegel des postindustriellen Zeitalters, Berlin, getroffen haben. Die Atmosphäre dieser Metropole, ihre transformative Ruhelosigkeit und Bedrohlichkeit, haben große Eindrücke bei den Beiden hinterlassen, die sie von ihren Noise-Wurzeln weit entfernt und in die Regionen des neo-klassischen Industrials und der ambienten Soundwälle getragen haben.
Der Titel des Albums deutet bereits auf die Nähe zu Soundtracks hin, was der ganzen Angelegenheit jedoch nicht wirklich gerecht wird – denn der Film, zu dem diese Stunde eine Vertonung bilden soll, ist tatsächlich noch nicht gedreht worden. Gäbe es ihn, so wären seine Farben schrill und blendend und von bösartigem Schwarz konstrastiert, seine Bewegungen rasend und lähmend und wild. Eine Handlung existiert nicht, kein Anfang und kein Ende, nur Bewegung. Gäbe es Darsteller in diesem Film, so wären sie ausnahmslos Statisten, klein und unbedeutend dem Malstrom der großen urbanen Maschine gegenüber. Lichtstreifen gäbe es hier und da in diesem Film, aber sie gingen irgendwann unter im stampfenden, gleichmäßigen Rhythmus der Beats und in den breiten, bedrohlich ausarrangierten Ambient-Wänden aus Streichern und Synthesizer-Sounds.
In den bewegten Momenten ihres Soundtracks bringen es ARTRIDGE immerhin auf echte Schlagzeug-Sounds (diesmal tatsächlich im Trip-Hop-Beat), erdige, laszive Punkgitarren und wummernde Bässe – in den obskursten Minuten dieser Stunde dann auf jazzige Akustikgitarren und verzerrte Stimmen. Und überall und immer: Samples aller möglicher Art und Coleur, Soundexperimente, bizarre Geräusche.
Wer auf Vergleiche in der Musik angewiesen ist, um sich ohne Gewissensbisse eine CD kaufen zu können, der ist in diesem Falle auch darauf angewiesen, die Alben „Themes from William Blake’s The Marriage of heaven and hell“ und „Perdition City“ im Schrank stehen zu haben. Meiner bescheidenen Meinung nach kennen die beiden Jungs von ARTRIDGE diese beiden Werke unter Garantie und gehören mit ähnlicher Sicherheit zu den vielen Kennern und Bewunderern ULVERs, die bereits eine ähnliche Leistung vollbracht haben wie ARTRIDGE selbst: Bilder im Kopf zu erzeugen, die man sich bei gesundem Menschenverstand am liebsten nicht anschauen möchte, und zugleich eine gewisse sadistische Sucht hervorzurufen, genauer hingucken und hinhören zu wollen.
„Finished Soundtracks for Unshot Films“ ist eine scheißgeniale CD, der man ihr ganzes fantastisches Ausmaß erst nach dem dritten oder vierten Hördurchgang anmerkt, bei der man sehr genau hinhören und sich auf sie einlassen muss. Aber wer leiht sich schon einen Film aus der Videothek aus, schmeißt ihn in den DVD-Player und spielt dann Gameboy?
Stile hin oder her, Metal hin oder her, es ist eine reife Leistung, eine solche Platte aufzunehmen, selbst in Zeiten, in denen es schon jede Form von Musik gibt. Man muss schon in Berlin gewesen sein, um das nachvollziehen zu können, glaube ich.