Aria Primitiva - Sleep No More

Review

Einen finsteren Klumpen lässt Thierry Zaboitzeff mit seinem Projekt ARIA PRIMITIVA da auf uns zu rollen. Einst eine der beiden Schlüsselfiguren der Kammer-Rock-Band ART ZOYD gewesen, treibt es ihn nun mit dieser Formation und dem vorliegenden Full-Length-Album „Sleep No More“ auf nicht minder avantgardistische, dafür weniger kammerorchestralische und umso elektronischere, geradezu industrielle Pfade, die denen von KAUKOLAMPI nicht unähnlich sind. Wobei der hiesige Stoff weniger krautig geraten ist.

Der Sound von „Sleep No More“ hat wie angedeutet keinen kammermusikalischen Charakter inne, zumal hier kein größeres Ensemble am Werke ist. Die Songs sind aber dennoch von klassischer Musik und ein Stück weit auch vom Rock beeinflusst, wobei im Vordergrund natürlich Synthesizer und zum Teil sehr angriffslustige Beats stehen. Aber im Grunde treffen sämtliche Genre-Bezeichnungen für „Sleep No More“ ohnehin nur bedingt zu, da in den Songs teilweise einfach zu viel abgeht. In weniger erfahrenen Händen wäre das Songmaterial zu einem furchtbaren Stil-Durcheinander verkommen.

Die verdrehte Welt von ARIA PRIMITIVA

Zaboitzeff hat sich für das Projekt mit Nadia Ratsimandresy und Cécile Thévenot zusammen getan, die ihrerseits ebenfalls wie Zaboitzeff (teilweise auch nur aushilfsweise) bei ART ZOYD aktiv gewesen sind. Und wer mit deren Musik jemals in Kontakt gekommen ist, zum Beispiel durch deren avantgardistische Soundtrack-Neuinterpretationen von Stummfilmklassikern wie „Nosferatu“, dürfte eine ungefähre Ahnung haben von dem, was ihn auf „Sleep No More“ erwartet. Immerhin gibt es den Titelsong des hier vorliegenden Albums auf „Nosferatu“ in einer seiner früheren Fassungen zu hören.

Und in der Tat: „Sleep No More“ wird seinem Titel gerecht. Denn was das Trio hier aufs Parkett zaubert, klingt in seinen intensivsten Momenten wie ein verdrehter Fiebertraum von Trent Reznor. „Endayi Endesi“ eröffnet das Album noch vergleichsweise ruhig mit sachter Industrial-Perkussion, lässt dank ominöser Melodien und gewichtigen, geradezu dramatischen Klavier-Schlägen dennoch Übles erahnen. Dank seiner klassischen Schlagseite ziehen sich ansprechende Melodien durch den Song hindurch, der sich dann zum Ende hin aufbaut und nicht direkt in ein explosives, aber dennoch in ein vergleichsweise bombastisches Finale mündet.

„Sleep No More“ macht seinem Namen Ehre

„Maïdaykali“ gaukelt dem Hörer ein wenig erholsame Idylle vor, ehe sich der Song in einen aggressiven, schweren Industrial-Stampfer verwandelt. Hier setzt auch der etwas skurrile Gesang von Zaboitzeff ein, der sich jedoch seltsamerweise gut ins Klangbild einfügt. Die rauen Vocals erinnern irgendwie entfernt an Cornelius Jakhelln (SOLEFALD). Dagegen scheint das rhythmische Korsett des dreizehnminütigen Kernstückes „Aria Primitiva“ ein wenig von den „Ghosts“-Songs der NINE INCH NAILS inspiriert zu sein, während scharfkantige Streicher und Synthesizer zum Teil dissonant auf den Hörer ein plärren. In der zweiten Hälfte zieht das Trio die atmosphärische Schraube dann deutlich fester mit einer Intensität, die reif für das Horrorkino ist.

„Nixen“ verspricht in der ersten Hälfte dagegen tatsächlich etwas Erholung, auch wenn Klavier und Beats in der zweiten Hälfte des Songs doch düstere Nadelstiche setzen, um die Atmosphäre wieder in verstörende Sphären hinein zu treiben. In Sachen Skurrilität sticht „Helden“ den Rest der Tracks locker aus, bei dem es sich doch tatsächlich um ein durch den Industrial-Wolf gedrehtes, deutschsprachiges Cover des David Bowie-Songs „Heroes“ handelt. Und trotz starkem Akzent bringt Zaboitzeff die ikonischen Zeilen ganz gut rüber.

Mit „Hystamack“ und „Kletka“ lassen ARIA PRIMITIVA noch ihre improvisatorischen Muskeln spielen. Das klingt erst einmal unspektakulärer, als es ist, denn hier treibt die Band die Atmosphäre durch den Ambient-lastigen, gar formlos und ungreifbar anmutenden Sound in geradezu unerträgliche Höhen. Geisterhaft langgezogene Synths, ein Klavier, das mal schneidend und mal hämmernd attackiert, sowie ein subtiler Drone fräsen sich zielsicher in die Magengrube hinein und wühlen diese auf. Da ist man fast froh, dass der Titeltrack so eingängig und melodisch ausgefallen ist.

Ein Stimmungsvolles Highlight

Erfreulich ist in jedem Falle der konsistent klare Sound, der das gesamte Album souverän trägt und hervorragend hörbar macht. In seinen ruhigeren Momenten zeigt die Produktion die nötige Transparenz, um nahezu jedes noch so kleine Detail im Klangbild differenzieren zu können. Unterdessen wird den aggressiveren Passagen eine Menge Druck und Durschlagskraft verliehen, sodass sich das Album seine Dynamik auch an der Oberfläche bewahrt. Das führt dazu, dass die Songs trotz ihrer Fokussierung auf Stimmung extrem gut hörbar bleiben.

Im Gesamten haben ARIA PRIMITIVA also ein unglaublich dichtes, düsteres und doch abwechslungsreiches Werk geschaffen, das nur schwer zu kategorisieren, aber dennoch erstaunlich leicht zu hören ist. Zwar sind einige Songs bereits auf der vorangegangenen EP „Work In Progress“ erschienen (und wie bereits erwähnt ist auch der Titeltrack etwas älter). Dennoch fügt sich das alles auf „Sleep No More“ zu einer Einheit zusammen, die allein durch fließende Übergänge zwischen den Tracks noch intensiver geworden wäre.

Aber macht euch nichts vor: „Sleep No More“ wird euch dennoch gekonnt den Schlaf rauben…

20.07.2019

Redakteur für Prog, Death, Grind, Industrial, Rock und albernen Blödsinn.

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