ANTI-FLAG veröffentlichen mit „American Spring“ ihr erstes Album beim finnischen Label Spinefarm, an der Rezeptur haben die kultigen Amerikaner aber nichts geändert: Vor Bissigkeit und Relevanz triefende Kritik, massentauglich gemacht durch eine Überdosis Melodie. Wer nur aggressiv brüllt, hat eben weniger Zuhörer, das wissen die Flaggengegner und zeigen sich deshalb inhaltlich kompromisslos und musikalisch dafür um so zugänglicher. In einer Zeit, in der uns mehr denn je Böse als Gut verkauft wird und Scheiße plötzlich nach frisch gezapftem Bier schmecken soll, sind Bands wie ANTI-FLAG genauso unverzichtbar, wie Hörer, die die Botschaften verstehen und richtig umsetzen.
Schon der Opener „Fabled World“ erzählt ein wahres und daher grausiges Märchen. Umgehend ist man gefangen im ANTI-FLAGschen Kosmos, fühlt sich heimisch und willkommen von den Stimmen, sicher umhüllt von den Melodien, dem staksenden Takt und den angenehm drehenden Riffs. Das Märchen handelt unter anderem davon, dass Amerikaner und Russen grundsätzlich Feinde sein sollten, die dann aber gemeinsam am Video zum Song gearbeitet haben. Realität ist also nicht das, was die Regierung erzählt, sondern was wir daraus machen und aktiv leben. „Brandenburg Gate“, „Set Yourself On Fire“ und „Sky Is Falling“ sind ebenfalls derart hymnisch, dass man sich leicht in die Irre führen lässt und auch locker einen infantilen Text darauf singen könnte. „Sky Is Falling“ befasst sich allerdings mit der ernsten Tatsache, wenn der Himmel nicht mehr nur die Bühne von Wolken und Sonne ist und plötzlich zur allgegenwärtigen Bedrohung wird. Nämlich, wenn unschuldige Menschen durch Drohnenangriffe sterben, wobei die US-Regierung doch betont, dass „Zivilisten äußerst selten durch Drohnenangriffe sterben“. Selten ist aber trotzdem tot. ANTI-FLAG untermalen den Song nicht mit brachialen Riffs und raschem Hau-Ruck-Tempo, sondern der mittlere Trab und die inbrünstigen Chöre machen ihn umso eindringlicher.
„Walk Away“, „To Hell With Boredom“ und „Song For Your Enemy“ zeigen sich etwas schneller und glänzen beide besonders durch punkige Komplexität. Erfolgreich türmen ANTI-FLAG eine Schicht nach der anderen auf, schrauben gekonnt die Stimmung hoch und machen beide Lieder damit zu heißen Live-Kandidaten. Die CLASH-artigen „All Of The Poison, All Of The Pain“ und „Low Expectations“ können ebenfalls mit kreativen Drums und einem packenden Refrain sofort punkten. „American Spring“ versprüht ansteckenden Tatendrang, führt unbemerkt dazu, sukzessive die Lautstärke zu erhöhen, und nutzt sich auch trotz häufigem Konsum nicht merklich ab. Die hinterhältigen Melodien, die an jeder Ecke lauern, fangen den Hörer immer wieder erbarmungslos ein. Hier und da taucht sogar unverhofft etwas ähnliches wie ein gelungenes Gitarrensolo auf. Besonders live unterstreichen ANTI-FLAG ihre Haltung und legen sicherlich auch im direkten Vergleich zur Konserve „American Spring“ noch nach – wer sich unsicher ist, ob ANTI-FLAG ihm zusagen, sollte sich unbedingt mal ein Konzert der Band gönnen.
Häufige Wiederholungen, die bei anderen Bands meist maximal nerven, werden bei ANTI-FLAG immer geschickt untergeschoben, sodass „American Spring“ davon auch nur wieder profitiert. Die meisten der 14 Song bieten umgehend die Möglichkeit, gedanklich zu ankern, sodass man nach kurzer Zeit eine gut mitsingbare Textbasis hat. Eher eindimensionale Momente, wie das spannungsarme „Brandenburg Gate“ und das harmlose, nach Stadion riechende „Without End“ werden eine Konzertsituation leider auch nicht mehr merklich aufwerten können. Aber seit 1993 hat sich bei ANTI-FLAG einiges an Hits angesammelt, sodass daran kein Mangel herrscht. Auch wenn ANTI-FLAG immer häufiger an (mittlerweile) etwas weichgespülte Bands wie RISE AGAINST und GREEN DAY erinnern, das Quäntchen mehr Glaubwürdigkeit haftet ihnen weiterhin an und hebt sie rein emotional von ihren Kollegen ab.
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