Zu den hehrsten Aufgaben der Musik zählt, dem Meer des Unsagbaren ein Stück neues Land abzuringen. Und bitte, es treten ANSUR auf den Plan. Drei Norweger, die sich auf ihrem vorigen Album „Axiom“ noch als Black-Metal-Output verstanden, schweifen aus, und schweifen aus, und schweifen aus, um ein unbeflecktes Stück Land zu vermessen und sich anzueignen. Schon das Cover verrät viel über die charakteristische Herangehensweise der Band an ihre Musik.
Wolkig ist genau das richtige Bild für diese Ansammlung seltsamer Sounds und ausladenden Songstrukturen. Alles scheint möglich in der Wunderwelt von ANSUR, kein Detail ist zu aberwitzig, um nicht in den großen, ausufernden Kreislauf der Soli und Wiederaufbereitungen eingespeist zu werden. Bloß auf die Frage, was diese Musik im Innersten zusammenhält und in welche Schublade des Gemischtwarenladens Rock/Metal sie einsortiert gehört, darauf gibt es auch bei mehrmaligem Hören keine Antwort. Es bleibt bei einer Silhouette, mit dem Titel „Warring Factions“.
Burlesk geht es zu, und manchmal etwas psychotisch. In sieben Szenen durchläuft man eine ureigene Psychopathologie. „The Tunguska Incident“ leiht sich die Vertracktheit von FATES WARNING und DEATH, die Hektik des Aufputschmittelstakkatos von MESHUGGAH. Hinzu gesellen sich verträumte Hammond-Sphären, ein Saxophon-Solo sprengt vollends die Ketten. Auf „Sierra Day“ lassen sich Latino-Spurenelemente nachweisen. Ein paar Mal glaubt man sogar, Anklänge an den harmoniegesättigten Softpop der frühen Siebziger herauszuhören: „Are you with me?“ Das zwölfminütige „An Exercise In Depth Of Field“ steigt extrem ein, Soli und Leads klären auf, die dann in der Mitte des Songs mit einer improvisierten Country-Einlage kollidieren. Und gönnt sich zwischendrin immer wieder ausufernde Ausholbewegungen zwischen Dub, Death-Thrash, EMERSON, LAKE & PALMER und Brian Eno, die viel Atmosphäre, aber wenig herkömmlichen Song vermitteln und bestimmt dem ein oder anderen den Nerv rauben. Die Liste ließe sich ewig fortsetzen.
Dass experimentelle Musik sich durch eine verspielte Eingängigkeit auszeichnen kann, passiert im Grunde in den seltensten Fällen. Zumeist präsentieren sich avancierte Progexperimente in einer grüblerischen Engstirnigkeit, die viele Zuhörer befremdet und oft nur dem geübten Eingeweihten einen Zugang in diese Welt gewährt. ANSUR bilden in dieser Hinsicht leider keine Ausnahme. Sie haben sich einen individuellen Sound erschaffen, der aber die kompliziertesten Klang-Phänomene nicht nachvollziehbar darzustellen vermag. Vielleicht kommt man dieser Musik am nächsten, wenn man den Versuch, sie in der Wirklichkeit zu verorten, ganz aufgibt. Natürlich, das ist alles jenseits von der Realität – einer Realität dritter oder vierter Ordnung. Mir ist das jedenfalls zu viel.
Diese Platte erfordert vor allem eines: zeitintensive Arbeit. Von jedem Beteiligten. Die, die es machten, haben auf den Millimeter genau geschraubt, gekniedelt, gejammt (ist euch schon einmal aufgefallen, wie schlimm dieses Verb ist!?), collagiert und zusammengeschoben, versetzt und verschoben, was (nicht) zusammengehört. Die, die es hören, können sich erneut stundenlang mit dem Entwirren der progressiven Monstren beschäftigen. Und die, die es rezensieren, stehen vor der undankbaren, enervierenden Sisyphus-Aufgabe, möglichst keinen der Abermillionen Einflüsse und nur wenige der tausend Versatzstücke in der Musik dieser entrückten Norweger zu unterschlagen. Arbeit an allen Ecken und Enden. Ob Musik das braucht, um glücklich zu machen, bezweifle ich – stark! Hauptsache ist auf jeden Fall, dass nach der Arbeit noch Platz sein sollte fürs Vergnügen. Und das kommt hier leider zu kurz.
Es ist musikalisch alles mehr als perfekt und so weiter. Hat man aber erst einmal den „technischen“ Zugang zu „Warring Factions“ gefunden, steht man vor dem großen Problem: Diese Musik bietet wenig bis keine Tiefe, ist wenig ergreifend und bereitet daher kaum Genuss.
Das, was das Review suggeriert, nämlich dass es sich um unzugängliches, diffuses Gefrickel und zusammenhangsloses Stilchaos handelt, bestätigt sich mir beim Anhören des Albums nicht. Ich behaupte glatt das Gegenteil, nämlich dass Ansur mit schlüssig verwobenen, übersichtlichen, eingängigen und innovativ und unverwechselbar konzeptionierten Klanglandschaften mit hohem Melodie- und Ohrwurmfaktor aufwarten. Der rote Faden zieht sich durch jeden Song. Man hat sich nachvollziehbar etwas beim Songwriting gedacht. Und wenn Sierra Day kein Hit aus einem Guss ist, dann weiß ich auch nicht. Aber das hängt wohl alles von Hörgewohnheiten ab und ist ja zum Glück Geschmackssache. Für mich ist das Review definitiv ein Verriss und das Album eines der Prog-Highlights 2008.
Ich kann dem Review nur zustimmen. Das ist alles prima gespielt, aber es vermag mich nicht annähernd über die ganze Länge zu fesseln. Cronian z.B. haben Ähnliches mit ihrem neuen Album um Längen besser – weil inspirierender – gemacht.
Eins der besten, ergreifendsten und originellsten Progmetal-Alben aller Zeiten. Es treibt mir immer wieder Freudentränen in die Augen.
Der Reviewer tut mir leid…