Im allgemeinen Skandinavien-Wahn der Neunziger Jahre sind finnische Black-Metal-Bands meiner Meinung nach schmählich vernachlässigt worden. Nach den Altmeistern IMPALED NAZARENE und den noch einigermaßen erfolgreichen THY SERPENT kommt dann lange gar nichts – dann erst folgen … AND OCEANS, die es 2001 immerhin bis zu Century Media geschafft haben, ihre beste Zeit aber vorher hatten. Wenn man dann noch weiter in die Untiefen der Randgruppenmusikgeschichte schauen will, gäbe es noch eine Menge toller Platten zu entdecken – AUTUMN VERSES beispielsweise. Aber das ist eine andere Geschichte.
„The Dynamic Gallery Of Thoughts“ ist der Prototyp eines finnischen Black-Metal-Albums. Es vereint dicke, eisglänzende und saftig verhallte Keyboardteppiche mit grobem melodischem Black Metal, beides vereint durch die schwebenden und typisch finnischen Melancholie-Melodien, die die Weltferne später BURZUM-Aufnahmen nicht selten streifen. Das können die Sechs sowohl in Überschallgeschwindigkeit („The Room Of Thousand Arts“), mit beschwingten Double-Bass-Passagen und proto-paganen Chören („Samtal Med Tankar“), beinahe KATATONIA-like („Halo Of Words“) als auch in schleichender, sphärischer Slow-Motion („Je Te Connais Beau Masque“), immer aber zielsicher und kompakt. Gerade der Einsatz der Synthesizer ist einzigartig und hat die Band auch über Jahre wiedererkennbar gemacht. Sicherlich ist das Arrangement der Melodien aus heutiger Sicht manchmal ein wenig durchschaubar gehalten und ragt hier und da ein Stück über die Kitschgrenze hinweg, aber das hat gerade Ende der Neunziger dazugehört. Der Metalanteil überwiegt trotz allem und lässt noch erkennen, dass die Band ursprünglich aus dem Death Metal kommt und es jederzeit für ganz essentiell hielt, kräftig den Hammer kreisen zu lassen. Die Gitarrenparts sind mitunter virtuos und nicht selten von einer Eigenart, auf die sogar PRIMORDIAL stolz wären. Man kann zu dieser Platte sowohl verloren aus dem Fenster blicken als auch bangend mit dem Staubsauger durch die Gegend wüten, und das ist eine Eigenschaft, die ich heute bei den meisten Alben vermisse.
Letztlich kann man aber schon anhand von „The Dynamic Gallery Of Thoughts“ auch erklären, warum … AND OCEANS nie so erfolgreich geworden sind, wie sie es hätten sein können: das Album ist manchmal sperrig und eigenwillig, weniger im musikalischen Sinn als vielmehr in seinen Details. Das fängt bei den mehrsprachigen Texten bzw. Titeln (finnisch, schwedisch, englisch und französisch an), setzt sich über deren durchaus extravagante Umsetzung fort, die manchmal direkt ein bisschen infantil wirkt, zieht sich über die nicht immer 100% saubere, aber sehr ehrliche Performance und endet noch nicht bei dem grauenvoll hässlichen Booklet des Albums, in dem … AND OCEANS selbstverständlich nicht nur Freunde und Verwandte, sondern auch Michael Knight & K.I.T.T.
grüßen. Äußerst sympathisch. Gleichzeitig ist das Cover schön, die Ästhetik zwischen visionär und ironisch anzusiedeln, die Tico-Tico-Produktion großartig transparent und der Kreativfaktor enorm hoch – man hat der Eindruck, die Band habe sich einfach von Anfang an dagegen gesträubt, gängigen Klischees voll zu entsprechen, auch wenn sie einigen davon, vielleicht aus nostalgischen Gründen, durchaus entsprochen haben.
Das ändert an der Qualität der Musik wenig, zeigt aber leider, wie der Weg von unheimlich talentierten Bands aussehen kann, die nicht jedes Jahr eine miese Platte veröffentlichen, sich laufend auf Tour prostituieren und der halben Metalwelt nach dem Mund reden wollen. Aber soweit sind wir noch nicht – denn schon 1999 waren … AND OCEANS zurück, mit einem Album, das ihr erstes noch toppen konnte.
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