2016 sind die Kanadier ANCIIENTS auf einer regelrechten Welle der Euphorie geritten. Ihr zweites Album „Voice Of The Void“ schlug mächtig ein und brachte ihnen 2018 einen Juno-Award in der Kategorie Metal/Hard Music Album of the Year ein. Die Zeit um dessen Veröffentlichung ist jedoch gelinde gesagt turbulent gewesen. Denn nicht nur hat das Besetzungskarussel rotiert, was zum Abgang von Bandgründer Chris Dyck Anfang 2017 führte, sondern Kenny Cook, das zweite Glied im Gründer- und Songwritergespann, wurde 2015 Vater, wobei die Entbindung nicht unkompliziert war hin zum Punkt, wo dessen Frau zwischenzeitlich offenbar um ihr Leben kämpfen musste. Und da war ja noch dieses eine globale Ereignis um 2020 herum.
Nach langer Pause melden sich die ANCIIENTS endlich zurück
Jedenfalls kam durch diese und weitere Faktoren einiges zusammen, was zu der großen Lücke in der Diskografie der Kanadier führte. Doch nun sind sie wieder da, neben Ur-Schlagzeuger Mike Hannay verstärkt um den 2017 für Dyck eingestiegenen Gitarristen Brock MacInnes und dem frischesten Neuzugang in Form von Rory O’Brien als Tieftöner. Unterdessen wird der Gesang wie auch das Songwriting nun offenbar allein von Cook gehandhabt, in gewisser Weise ist das neue Album „Beyond The Reach Of The Sun“ also so ein bisschen wie eine Feuerprobe für die Band, zumal acht Jahre in Zeiten von Streaming und den dadurch dramatisch verkürzten Aufmerksamkeitsspannen der Hörerschaft eine halbe Ewigkeit sind.
Andererseits hat sich die Metalwelt an progressiven Sludge Metal im Windschatten der MASTODONschen und BARONESSschen Großtaten aus den 2000ern und frühen 2010ern noch nicht sattgehört, was heuer Bands wie DVNE oder SOMNURI nach wie vor beweisen. Insofern sind die Kanadier weiterhin in bester Gesellschaft. Die Trademarks bleiben bestehen, vor allem die filigrane, erfrischend luftige Gitarrenarbeit, das dynamische, in angenehmer Weise an OPETH angelehnte Wechselspiel zwischen Cleans und Growls und das vielschichtige Songwriting, das sich gerne in epische Höhen aufschwingt nur um von dort aggressiv herunter zu krachen, machen nach wie vor Spaß. Das Album schafft es bei aller Eklektik irgendwie doch, gediegen zu klingen, was sicher auch an den gelungenen Übergängen zwischen den einzelnen Motiven liegt, die stets nachvollziehbar und elegant in Szene gesetzt werden.
Und sie haben wieder jede Menge hochqualitativen wie leichtfüßigen Prog Sludge dabei
„Eleganz“ ist generell das passendste Prädikat, mit dem sich „Beyond The Reach Of The Sun“ schmücken kann. Die in amouröser Leidenschaft ineinander verschlungenen Gitarrenleads im Solopart von „Is It Your God“ legen Zeugnis dessen ab und selbst nach dem 20. Durchlauf hat sich unsereins noch nicht daran satt gehört. Doch selbst wenn es härter und heavier wird, verlieren die Kanadier nie den Sinn für Stil und stolzieren mit geradezu modischer Grazie durch den Äther. „The Torch“ beschwört das OPETHsche „Baying Of The Hounds“ hervor, doch der Rhythmus treibt den Song weiterhin locker und leichtfüßig voran, sodass die zahlreichen Gitarrenarabesken sinnvoll integriert sind und nicht wie ein Nachklapp in der Luft hängen.
Damit geht vielleicht nur eine altbekannte Schwäche einher. Die Gitarren würden in solchen heftigeren Momenten der Platte gerne diese massiven Riff-Monolithen aus den besten Zeiten MASTODONs errichten, aber die Produktion weist nicht die erderschütternde Dynamik dafür auf, die notwendig wäre um das glaubhaft zu überliefern. Das mag natürlich darin begründet liegen, dass die Band sich gerne in filigranen Klangkosmen irgendwo zwischen den „Reflections Of A Floating World“-ELDER und den „Etemen Ænka“-DVNE aufhält, die viel Transparenz und Klarheit bei den Gitarren fordern. Möglicherweise wurde dieses Opfer also bewusst hingenommen, ist bedauerlicherweise aber eben auch ein bisschen spürbar.
Man sollte also nach wie vor mit den Kanadiern rechnen
Andererseits geht das Album in seiner Gesamtheit ziemlich gut ins Ohr und trotz der langen Pause, trotz der Halbierung des Songschreibertandems ist es eine mehr als runde Sache geworden. Die ANCIIENTS adaptieren den Sludge Metal, wie er einst salonfähig gemacht worden ist, in sinniger Weise, inkorporieren jede Menge Elemente aus dem direkten Umfeld ihres Klangkosmos in ihren Sound und und definieren ihre Marke damit einmal mehr mit klarer Abgrenzung von der Konkurrenz. Die Balance zwischen getragener Eleganz und aufbrausender Härte hat Cook jedenfalls ziemlich gut auf den Punkt getroffen, sodass „Beyond The Reach Of The Sun“ ein würdiger Nachfolger zu „Voice Of The Void“ geworden ist.
Am Ende hätte hier also sowohl die 7 als auch die 8 stehen können, aber der gute Wille auf der einen Seite und die Freude darüber, dass die Band trotz allem so mächtig zurückkehrte, auf der anderen hat unsereins letztlich dazu bewegt, das eine Pünktchen doch noch springen zu lassen.
Sehr schönes Album!