Anatomy Of Habit - Ciphers + Axiom

Review

ANATOMY OF HABIT machen es einem nicht einfach. Eine stilistische Verortung vorzunehmen ist bei den Herren aus Chicago nahezu ein Ding der Unmöglichkeit, wie auch das zweite Album der Bandgeschichte zeigt, welches zugleich das Debüt bei Relapse darstellt. Denn „Ciphers + Axioms“ gleicht, passend zum Cover-Artwork, ab dem ersten Ton vielmehr einem abstraktem Kunstwerk, als dass es einen offensichtlichen roten Faden aufrecht erhält. Beteiligt an diesem Kunstwerk sind jedoch keine Unbekannten. Um das Ergebnis ein wenig besser zu verstehen, stelle man sich einen Raum vor, in dem Personen aus gänzlich unterschiedlichen musikalischen Richtungen Platz genommen haben und jeder seine ganz eigene Genre-Eigenschaft mit einbringt: Mark Solotroff (BLOODYMINDED), Will Lindsay (u.a. INDIAN, ex-WOLVES IN THE THRONE ROOM, ex-NACHTMYSTIUM), John McEntire (u.a. TORTOISE, THE SEA AND CAKE), Theo Katsaounis (JOAN OF ARC) und Kenny Rasmussen (ex-RADAR EYES). Der Begriff (Underground-) Supergroup liegt da natürlich nahe, ebenso wie die Befürchtung, dass am Ende wie so oft nichts Brauchbares herauskommt und das Projekt schlussendlich vor der Wand endet. Doch wer die bisherigen Veröffentlichungen der Band kennt, weiß, dass es sich bei ANATOMY OF HABIT nicht so wie bei einem Großteil ihrer kläglich versagenden Kollegen verhält. Zumal keinesfalls auf Easy-Listening gesetzt wird oder das musikalische Schaffen von Erfolgserwartungen bestimmt wird.

Der gemeinsame Nenner, auf den sich alle Protagonisten bei ANATOMY OF HABIT einigen konnten heißt augenscheinlich SWANS. Dies tritt noch deutlicher zutage, als es auf dem selbstbetitelten Erstwerk oder der 2012’er EP der Fall gewesen ist. Mit anderen Worten: Die Vorgänger waren einfacher zu greifen, als es „Ciphers + Axioms“ jemals sein wird. Wie gewohnt, besteht auch der neueste Streich aus lediglich zwei Songs, die es aber jeweils mit über 20 Minuten ziemlich in sich haben. Noise, Post-Punk, Deathrock, Sludge und eine stärkere Prise Doom als zuvor dienen als Zutaten. Das Ergebnis ist nicht weniger bizarr, als es sich anhört. Ziemlich verstörend, dabei jedoch auf seine Art bezaubernd. Ohnehin ist „Ciphers + Axioms“ ein Album der Gegensätze und Kontraste. Dissonanz und Melodie stehen im steten Wechselspiel, karge Monotonie trifft auf chaotische, rar gesäte Ausbrüche, Schönheit mündet in Erschütterung. Nicht selten erweckt es den Anschein, als wenn die Instrumente aneinander vorbeispielen würden, ehe sich die verqueren Gitarrenriffs und eigenwilligen Drums in der darauffolgenden Sekunde zu einer massiven Wand vereinigen. Über all‘ diesem schwebt der Gesang von Mark Solotroff, der sich passend zum Rest des Albums in einer ganz eigenen Welt wiederfindet. Der vornehmlich in der Noise-Szene bekannte Musiker besticht mit seinem dunklen Timbre und kreiert im Zusammenspiel mit den Instrumenten ein ungemein intensives Bad an diversen Stimmungen, eingebettet in eine mehr als bedrohliche Atmosphäre. Dies geschieht mit mal gesprochenen Parts, mal baritonartigem Klargesang oder auch wutentbrannten Auswüchsen. Damit nicht genug, werfen die Texte des guten Herrn gehörig das Kopfkino an: Phrasen wie „Architecture of faces“ oder „A life lived backwards“ stechen hervor und wollen so schnell nicht mehr aus dem Kopf verschwinden. „Radiate And Recente“ ist dabei der deutlich ruppigere Song, der sich anfangs minimalistisch präsentiert, spätestens aber nach den ersten sanften Tönen zu einem mal fies groovenden, mal schleifend doomigen Monster heranwächst. „Then Window“ macht zu Beginn zwar genau dort weiter, gibt sich anschließend jedoch psychedelischer, entschwebt nach seicht-rockigem Mittelteil in weite, ungemütliche Sphären und lässt einen schlussendlich ganz allein mit leerem Blick und offenem Mund zurück.

Ein Album auf dem ziemlich viel und doch so wenig passiert. Ein Album, dass nach Allem und Nichts in ein und demselben Moment klingt. Unzusammenhängendes klingt verbunden. Chaos scheint nicht erkennbar, obwohl stets die Gewissheit herrscht, dass es vorhanden ist und den Songs innewohnt. Ganz große Klangkunst, der schon ein gewisses Maß an Spiritualität anhaftet (und nicht ohne Grund von Sanford Parker produziert wurde). Berauschend einzigartig und potentiell etwas für Hörer von Bands wie NEUROSIS, KILLING JOKE, JOY DIVISION oder auch FIELDS OF THE NEPHILIM.

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18.11.2014

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