Unter "Blast From The Past" erscheinen jeden Mittwoch Reviews zu Alben, die wir bislang nicht ausreichend gewürdigt haben. Hier gibt es alle bisher erschienenen Blast-From-The-Past-Reviews.
Wenn man erst spät in die Diskografie von ANAAL NATHRAKH hineingefunden hat, dann entpuppt sich ein Tauchgang in Richtung der Anfänge des britischen Extrem-Metal-Abrisskommandos, bestehend aus Dave „V.I.T.R.I.O.L“ Hunt und Mick (damals noch „Irrumator“) Kenney, durchaus als interessante Erfahrung. Für eine Band, deren stilistische Trajektorie über weite Strecken ihrer Diskografie hinweg mehr oder weniger konstant geblieben ist, hat es durchaus einen interessanten Anfang genommen, der zwar wenig überraschend im Black Metal mit eingebauter Urschreitherapie angesiedelt ist, der aber im Vergleich zu ihren neueren Werken deutlich weniger Kompromisse eingeht.
Die Zeit bevor ANAAL NATHRAKH die hymnischen Hooks für sich entdeckten …
Jetzt sind ANAAL NATHRAKH gemessen an der Konkurrenz ohnehin eine Band, die wenig Interesse an Gefangenen zeigt. Damals wie heute loten die beiden (zu Demozeiten noch im Trio unter Beteiligung von Leicia am Bass agierend) die Extreme ziemlich freigiebig und effizient aus. Doch in ihren Anfangstagen gab es praktisch keine melodische, geschweige denn hymnische Hooks. In gewisser Weise waren die Briten damals noch eine Black-Metal-Band im etwas traditionelleren Sinne, wobei das Krankhafte schon damals präsent war. Dennoch ist „The Codex Necro“, das Full-Length-Debüt der Band, ein Paradebeispiel dafür, wie die Aggressivität eines Sounds durch eine abrasive Produktion noch weiter verstärkt werden kann.
Das gesamte Album wurde in der Post-Produktion vermutlich mehr als nur einmal durch den Verzerrer gejagt, das Ergebnis entsprechend gerät so unnahbar kalt, übersteuert und fies, dass der Zugang hier schwer fällt und man als Hörer regelrecht überrumpelt wird. Die Songs, die sich selten um eine einschlägige Hook drehen, zielen definitiv mehr auf die Distillation puren Hasses, purer Misanthropie ab. Vergleicht man den fast Melodeath-artigen Charakter eines „Endarkenment“ direkt hiermit, dann liegen Welten zwischen dem, was die Briten einst waren, und dem, was sie heuer sind. Und doch erkennt man die gleiche Kapelle hinter beiden Alben, einmal via Dave Hunt, der sich damals schon wie von Sinnen die Seele aus dem Leib krisch.
„The Codex Necro“ bleibt ein biestiges Debüt
Zum anderen ist der hier gespielte Black Metal von der ikonisch aggressiven Natur, nur echt mit der bandeigenen „No Fucks Given“-Attitüde versehen, hier und da mit einigen Electro- bzw. Industrial-Versatzstücken gewürzt wie in „Paradigm Shift – Annihilation“, in dem zwischendrin mal kurz ein nervöser Electro-Beat das Ruder übernimmt. Die meiste Zeit erweist sich „The Codex Necro“ jedoch als schwarzmetallischer Hassbatzen mit leichtem Hang zur Repetition. Insofern ergibt es Sinn, dass ANAAL NATHRAKH im weiteren Verlauf ihres musikalischen Wirkens die große, hymnische Hook für sich entdeckt und ihr Songwriting damit gewinnbringend abgerundet haben. Hier und da verliefen die Abrundungsarbeiten vielleicht etwas zu eifrig (siehe erneut „Endarkenment“).
Aber der Blick zurück zeigt definitiv, dass die Briten sich im Sinne der Hörbarkeit entwickelt haben, bei (weitestgehend) gleichbleibendem Aggressionslevel. „The Codex Necro“ ist also demzufolge ein interessantes Tondokument für diejenigen, die sich für die noch roheren, noch kompromissloseren Anfänge der Band jenseits ihrer Demo-Compilation „Total Fucking Necro“ interessieren. Das Full-Length-Debüt ist entsprechend vielleicht ein bisschen in die Jahre gekommen und erscheint durch das Mehr an Songwritingerfahrung, das die Band im Laufe ihrer Karriere gesammelt hat, ein wenig überholt. Wer sich dagegen die Krassheit von ANAAL NATHRAKH ohne den Klargesang geben möchte, wird sich hier pudelwohl fühlen.
Und dank der Neuauflage des Debüts, die von Metalblade Records zusammen mit der Demo-Compilation „Total Fucking Necro“ am 11. Juni 2021 u. a. auf Vinyl veröffentlicht wird, könnte es für Fans und solche, die es werden wollen, durchaus einen Anreiz geben, dieses biestige Kleinod zu entdecken.
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