Amplifier - The Octopus
Review
Ein unglaublich sperriger Brocken, den AMPLIFIER uns hier mit „The Octopus“ auftischen. Mit dem selbstbetitelten Debütalbum aus dem Jahr 2003, auf dem die Band ihre progressive Detailverliebtheit in relativ eingängige, songorientierte Strukturen gegossen hatte, verbietet sich beim neuen Werk der Engländer von vorne herein jeder Vergleich. Und ich habe wirklich versucht, die Scheibe trotzdem zu lieben. Sie macht es einem aber leider verdammt schwer. „The Octopus“ ist keine Scheibe, die einfach irgendwie zu einem findet, man muss sie sich mit viel Mühe und aufmerksamem Zuhören erschließen. Und damit stellt sie in der schnelllebigen modernen Musiklandschaft einen absoluten Anachronismus dar. Wen sollte es also wundern, dass sich keine Plattenfirma dazu bereit gefunden hat, dieses Werk auf die Menschheit loszulassen?
Die sechzehn Songs des Albums addieren sich zu einem zweistündigen Gesamtkunstwerk, das die Beziehungen zwischen Mensch, Unendlichkeit und Entropie beschreiben möchte und dabei mehr zu einer philosophisch-spirituellen Odyssee denn zu einem klar verständlichen Wegweiser mutiert. Diese Musik ist definitiv mehr Kunst als Unterhaltung, weswegen auch die Zielgruppe dafür nicht übermäßig groß sein wird. Viele werden nicht einmal den ersten Hördurchgang erfolgreich absolvieren, bevor sie das Album fluchend in die nächste Ecke pfeffern. Dafür mögen einige andere sofort ansprechende Melodien in diesem komplexen Gebilde ausmachen, die für die nötige Motivation sorgen, noch weiter mit diesem Album zu ringen.
Es ist ein Kampf gegen den „Octopus“, der mindestens sechs Arme mehr hat als man selbst, so dass die Chancen auf einen Sieg verschwindend gering stehen. Und niemand behauptet, dass dieser Kampf leicht zu gewinnen wäre. Es bedarf schon einer Menge Herzblut, Schweiß und Tränen, um diesem sperrigen Monster die Stirn zu bieten und wenn man es gerade durchdrungen zu haben meint, tun sich bereits die nächsten Klangkaskaden vor einem auf, die einen zurück an den Anfang werfen und einen weiteren, aufmerksamen Hördurchgang bedingen. Das kostet Kraft, das zehrt an den Nerven, und doch weckt es auch einige selten gebrauchte Urinstinkte, öffnet längst verschlossen geglaubte Türen und zeigt, wie wichtig und gleichzeitig unbequem Musik im Speziellen und Kunst im Allgemeinen sein kann.
Liebe konnte ich nach all dem Kampf letztlich nicht für „The Octopus“ empfinden. Und doch habe ich tiefe Bewunderung vor diesem wirklich großen und unbequemen Gegner, der in der seichten See der Unterhaltungsmusik keinerlei Lebensraum mehr findet, sondern längst in den tiefen trendfreien Ozean abgetaucht ist. Zu beschreiben was der „Octopus“ wirklich ist, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Ihn in ein Bewertungsschema zu pressen ebenfalls. Man muss den „Octopus“ einfach selbst erleben, alles andere ist absolut sinnlos. Und auch wenn nicht jeder diesen Kampf mit sich selbst und der eigenen Interpretation dieses Kunstwerkes zu einem erfolgreichen Abschluss bringen wird, so sei er doch jedem einzelnen wärmstens ans Herz gelegt.