Amorphis - Tales From The Thousand Lakes

Review

Unter "Blast From The Past" erscheinen jeden Mittwoch Reviews zu Alben, die wir bislang nicht ausreichend gewürdigt haben. Hier gibt es alle bisher erschienenen Blast-From-The-Past-Reviews.

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Als AMORPHIS 1994 ihr zweites Album “Tales From The Thousand Lakes” veröffentlichten, hatten sie die reine Death-Metal-Lehre schon längst hinter sich gelassen: Ihr Debüt „The Karelian Isthmus“ zeigte neben einem Death-Metal-Grundgerüst auch folkige Melodien, dezente Keyboarduntermalung und immer wieder epische Momente. Diese Entwicklung ging in der Szene insgesamt weiter, alle namhaften Bands öffneten ihren Sound für weitere Einflüsse – egal, ob das jetzt ENTOMBED, DISMEMBER, GRAVE, CARCASS, DEATH oder PESTILENCE oder GOREFEST waren. Und auch die Finnen suchten nach neuen Wegen.

AMORPHIS, öffne dich!

Diese führen auf “Tales From The Thousand Lakes” teilweise weiter weg, als man zunächst denkt. Allerdings auch wieder nicht so weit, dass man sich beim Hören völlig fremd oder unwohl fühlt. Denn die Grundsubstanz ist immer noch da: Da wäre einmal das Grundgerüst mit schweren, todesmetallischen Gitarren, die im Sunlight Studio von Tomas Skogsberg gewohnt fett in Szene gesetzt werden. Der Mann hatte ja schon immer ein Händchen dafür, den Gitarrensound gleichzeitig als massive Wand als auch als Schlag in die Magengrube zu inszenieren. Dazu gehört selbstverständlich auch der tiefe, tonlose Grunzgesang, den Gitarrist Tomi Koivusaari keinen Deut verändert.

Was sich allerdings ändert, ist … sonst eigentlich alles? Na ja, dass hier dieselbe Band am Start ist, ist ja wohl unbestritten. Nur haben AMORPHIS mit Kasper Mårtensson eben einen Keyboarder in die Band geholt, der den Sound mit teilweise Sixties-lastigen Orgelsounds unterfüttert. Außerdem ergänzt Ville Tuomi mit seinem tollen, eigenwilligen Klargesang das bereits angesprochene Grunzen von Tomi Koivusaari.

Die Magie einer finnischen Sommernacht …

Im Ergebnis stehen neun neue Kompositionen, die Schwere und Leichtigkeit, Tragik und erhebende Momente miteinander verbinden. Oder, um beim Titel zu bleiben: „Tales From The Thousand Lakes“. Wer einmal die Magie einer finnischen Sommernacht oder die Strenge eines finnischen Winters erlebt hat, bei dem schaltet sich automatisch das Kopfkino ein. Hinzu kommen Texte, die sich auf die Heldensagen und Mythologie des Kalevala beziehen und in die Urtiefen des finnischen Bewusstseins eintauchen. Da liegen „In The Beginning“, „First Doom“ und „Magic And Mayhem” ganz nah beieinander.

Die Lieder bieten einen Reichtum an tollen Melodien, der in dieser Dichte kaum zu überbieten ist. Das beginnt bei dem Keyboard-Intro „Thousand Lakes“, dessen Stimmung geschickt von melancholisch zu feierlich erhebend wechselt. Bei den eigentlichen Songs dominiert häufig die Leadgitarre von Esa Holopainen, der ähnlich wie Greg Mackintosh bei PARADISE LOST mit seinem Spiel der Band ihren Signature Sound beschert. Und wenn man genau hinhört, wird man auch eine Verwandschaft hören – beispielsweise beim Eingangsriff von „Drowned Maid“ und „Eternal“.

… und die Strenge eines finnischen Winters

Letztlich haben AMORPHIS mit den Songs auf „Tales From The Thousand Lakes“ aber ihre Nische gefunden, eine Nische allerdings, die ziemlich groß ist. Und die sie mit großartigen Songs ausfüllen. Jeder der Tracks auf dem Album ist stark, sei es durch seine folkigen Melodien („Into Hiding“), orientalisch angehauchte Tonleitern („The Castaway“), seine Stimmung („Forgotten Sunrise“) oder seine ungewohnten Wendungen („To Father’s Cabin“).

Und wenn bisweilen, wie in „First Doom“ oder „In The Beginning“, immer wieder das schwere Death-Metal-Erbe durchscheint, sind die Songs teilweise ziemlich progressiv. Bei „Magic And Mayhem“ darf sich Keyboarder Kasper Mårtensson zudem besonders ausleben, indem er dem Stück ein wenig Technofeeling verleiht. Und es fügt sich dennoch nahtlos in den Sound ein. Dazu gehört selbstredend auch der Bonustrack, die geniale Coverversion des DOORS-Klassikers „Light My Fire“ – mit Grunzgesang und psychedelischem Orgelsolo.

„Black Winter Day“ wird zum Fanliebling

Wenn wir jetzt aber schon über alle Songs sprechen, darf einer ganz gewiss nicht fehlen: „Black Winter Day“. Dass dieses Stück sich vom Fleck weg zum Fanliebling gemausert hat, kommt nicht von ungefähr. Egal ob Melodie, Gesang, Stimmung, der stringente Songaufbau, der geniale Refrain – hier stimmt einfach alles. Dieser Song dürfte dann auch der Dosenöffner für die Band bei den Fanherzen gewesen sein.

Natürlich: In der Rückschau lässt sich sicherlich einiges kritisieren und so mancher beinharter Verfechter der reinen Lehre mag das Album schon bei Erscheinen gebannt haben. Aber „Tales From The Thousand Lakes“ hat zu seiner Zeit einfach so viel bewegt – nicht zuletzt die Fanherzen, die fortan vom mystischen und magischen Finnland träumten. Und selbst der Verfasser dieser Zeilen kam nicht umhin, sich eine Posterflag mit dem grandiosen Coverartwork anzulegen und in seinem Apartment aufzuhängen. Wenn AMORPHIS-Fans leuchtende Augen bekommen, dann doch am ehesten bei „Tales From The Thousand Lakes“ und „Black Winter Day“.

„Tales From The Thousand Lakes“ bewegt

Für AMORPHIS selbst bedeutete das allerdings, dass die Latte für kommende Veröffentlichungen sehr weit oben hing. Wie sie den kommenden Sprung mit dem Nachfolger „Elegy“ meisterten, lest Ihr demnächst hier in der Reihe „Blast From the Past“.

Und zum Abschluss seht Ihr hier das lange unter Verschluss gehaltene Video zu „Into Hiding“ – warum das so gewesen ist … nun ja, seht selbst:

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07.09.2022

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6 Kommentare zu Amorphis - Tales From The Thousand Lakes

  1. blackthrash sagt:

    einfach ein tolles Album

    10/10
  2. Watutinki sagt:

    Ich find’s so unendlich viel geiler als die gefühlt letzten 20 Amorphis Alben, aber ok, hat sich halt verändert…
    Auf dem Album war alles auf die Essenz von Amorphis konzentriert, keinerlei Balast, einfach fantastisch.

    10/10
  3. motley_gue sagt:

    Auch wenn es in diesem Review so geschrieben steht, dass damals viele Puristen die neue Richtung von Amorphis ablehnten – ich kenne tatsächlich niemanden, der damals auch nur ein Wort in dieser Richtung verloren hätte.
    Die Hammond-Orgel, der Klargesang, die Melodien allgemein, das Cover,… Alles, was an diesem Album plötzlich neu war, war ein Sprung in ein anderes Universum und damit Startpunkt einer der herausragendsten und eigenständigsten Discographien im Metal-Sektor.
    Black Winter Day ist zurecht noch immer in Setlists vertreten, zurecht auch aktuell noch mit Merchandising gewürdigt, zurecht eine 10/10!

    10/10
  4. Vlad_the_Impala sagt:

    Mein erstes Mal „Tales From The Thousand Lakes“ waren vermutlich die besten 40 Minuten meiner Jugend. 🙂

    10/10
  5. nili68 sagt:

    Zu einer Zeit, als Death Metal für mich noch ein Schimpfwort war und etwas, über das man sich lustig macht, war dieses das erste Album für mich, wo das nicht so war, neben der Black Winter Day EP.

    8/10
  6. lagad sagt:

    Neben Paradise Losts‘ Gothic/Icon und Draconian Times, Anathemas‘ Pentecost III/The Silent Enigma, My Dying Brides‘ Turn Loose The Swans/ The Angel & The Dark River, Type O Negatives Bloody Kisses/October Rust(ferner liefen), Tiamats Wildhoney, Sentenceds Amok(bedingt), DER Gothic/Dream/Death/Metal Hammer!!!