Amenra - Mass VI

Review

Abscheuliches geschieht zweifelsohne zuhauf in dieser Welt. Daran haben sich die Menschen mittlerweile gewöhnt. Weil es ihre – besser: die bequemste – Art ist, damit umzugehen. Heimtückischer Mord und sinnloses Töten (Kann Töten eigentlich sinnvoll sein?). Krieg, Hass, Zerstörung. Wenn es nicht gerade unmittelbar vor der eigenen Haustür geschieht, nötigt das globale Leid heutzutage nur noch sehr wenigen eine tatsächliche Gefühlsregung ab. Mit den extremen Stilrichtungen der Kunst und vor allem der Musik verhält es sich derweil ähnlich: Immer härter, schneller und brutaler geht es zu. Und immer weniger löst es in uns aus. Über finster dreinschauende Herren mit Nietengürteln und schwarz-weißem Make-up lachen wir heute. Wir gähnen gelangweilt, während die neue Platte der vermeintlichen Death-Metal-Legende läuft. Und wenn der Frontmann einer x-beliebigen Kapelle von der Bühne ins Publikum rotzt und dabei brüllt „Fuck you, motherfuckers!“ – dann lächeln wir das milde weg.

Manche Dinge allerdings lassen sich nicht so einfach weglächeln, unser durch Abstumpfung errichtetes Schutzschild hält nicht allem stand. Insbesondere dann, wenn Leid, Ohnmacht und Verzweiflung für uns unmittelbar fühlbar werden. Durch einen persönlichen Schicksalsschlag beispielsweise, oder auch körperliche und seelische Schmerzen. Oder durch solch unheimlich unbehagliche Tondokumente wie „Mass VI“.

Willkommen in der Finsternis.

Das sechste AMENRA-Studiowerk ist furchteinflößend. Es ist ein Albtraum. Mal mehr, mal weniger bedrückend. Und – das ist das Bemerkenswerte und gleichzeitig so Verheerende – es fühlt sich immer echt an. Wenn Frontmann Colin H. van Eeckhouts heiseres Gekreische im Anfangspart von „Plus Pres De Toi“ ertönt und sein malträtiertes Organ sich fast überschlägt, dann ist da ein Mensch zu hören, der wahrhaftig leidet und darbt. Das ist nur sehr schwer zu ertragen. Weil es etwas ist, das wir eigentlich nicht hören wollen. Ein Blick in den Abgrund. Willkommen in der Finsternis.

Die weiteren Mittel, derer sich AMENRA bedienen, sind gewohnt simpel, aber wirkungsvoll. Hypnotisches Dröhnen, schleppend-monotone Riffberge, ein überschaubares Tonarsenal und eine tieftraurig gefärbte Melodiearbeit: In rein musikalischer Sicht stellt „Mass VI“ im Bandkontext somit keine nennenswerte Weiterentwicklung dar – mit Ausnahme der Vocals. Kein Album der Belgier hatte je einen so hohen Anteil an Klargesang, und auf keinem AMENRA-Album hat Klargesang je so gut funktioniert wie auf dem jüngsten. Wenn van Eeckhout im Opener „Children Of The Eye“ erstmals vom kehligen Krächzen zum sanften Säuseln wechselt, klingt das zunächst ungewohnt. Weil: ungewohnt bedeutungsvoll. Von „Auflockerung“ im dramaturgischen Sinne kann derweil fraglos nicht die Rede sein: Die beklemmende, pechschwarze Grundatmosphäre bleibt – auch bei den mehrfach den Songs vorangestellten gesprochenen Passagen – allgegenwärtig.

Hoffnung? Vielleicht.

Und dennoch ist da noch etwas anderes. Vorsichtig formuliert: Hoffnung. Momente, in denen sich ein schwacher Lichtschimmer seinen Weg durch all die Dunkelheit bahnt. Das von einer repetitiven, klagenden Gitarrenmelodie dominierte „A Solitary Reign“ – wohl einer der eindrucksvollsten Songs, der in diesem Genre jemals geschrieben wurde – verkörpert unter anderem im Schlusspart dieses aufbauende, vorwärtsgerichtete Gefühl. Bevor es im martialischen Schlusstrack „Daiken“ dann allerdings wieder vom destruktiven Sog hinweg in die Tiefe gerissen wird. Am Ende siegt eben doch die Dunkelheit.

Abscheuliches geschieht zweifelsohne zuhauf in dieser Welt. AMENRA halten sich und uns daher den Spiegel vor. Und unterstreichen zudem in bislang nie dagewesener Manier ihren Status als unangefochtene Meister der dunklen Magie. „Mass VI“ ist hässlich, hart und hinterhältig. Es ist wie wir.

19.11.2017
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