Allegaeon - Apoptosis

Review

Soundcheck April 2019# 4

Es wird Zeit für ein wenig Bildung bei metal.de. Nach der „Abiogenesis“-Compilation von ORIGIN ist „Apoptosis“ schon die zweite Platte mit Bezug zu biologischen Themen in der letzten Zeit: Apoptose bezeichnet das Selbstmordprogramm, welches Zellen ausführen, falls nicht genügend Ressourcen zur Verfügung stehen oder ihr Erbgut so irreparabel beschädigt ist, dass eine gute Funktionalität für den Körper nicht weiter gewährleistet ist und sie sich sicherheitshalber deshalb selber entsorgen. Auch innerhalb der embryologischen Entwicklung kommt es zu geplantem Absterben von Strukturen, ansonsten würden wir heute vielleicht noch mit kurzen Stummelschwänzen, Schwimmhäuten, zusätzlichen Brustwarzen oder Kiemen auf die Welt kommen.

„Apoptosis“ – Absterben und Erneuerung

Sich selber zum alten Eisen legen müssen ALLEGAEON aber nicht: Auch auf dem fünften Album bekommt man einmal mehr melodischen Flitzefinger-Tech-Death präsentiert, der sich vor der Konkurrenz nicht verstecken muss. Nach dem Mammut-Konzeptalbum „Proponents for Sentience“ ist „Apoptosis“ mehr Album in dem Sinne, das sich hier mehr auf den Song an sich konzentriert wird und sich keinem Konzept oder Narrativ musikalisch wie textlich untergeordnet wird, auch wenn es auf „Apoptosis“ ein übergreifendes Thema mit Tod und Wiedergeburt gibt: So wie die Apoptose lebensnotwendig für Organismen ist, musste auch die Band durch einige Besetzungswechsel gehen und sich regelmäßig „erneuern“. So lärmt zwar auf  „Apoptosis“ fast dasselbe Line-up wie auf dem Vorgänger, allerdings gibt es mit Brandon Michael einen neuen Mann am Tieftöner.

Die Bezüge zur Biologie reißen nicht ab, aber wen wundert das bei einer Band, die schon auf dem Vorgänger „All Hail Science“ proklamiert hat. Das Intro „Parthenogenesis“ (Parthenogenese ist in der Natur das Phänomen der Jungfernzeugung) leitet bereits äußerst technisch und auch schmackhaft ein, bevor einen ein Schlagzeuginferno und infernalische Growls, gefolgt von Flitzefinger-Arpeggios in „Interphase//Meiosis“ (schon wieder eine biologische Referenz) dann aus den Latschen kippt. Während bei den Vorgängern ein wenig die Kritik durchkam, ALLEGAEON wären zwar technisch ganz oben mit dabei, würden sich im Songwriting aber durch ihre eigenen Ansprüche in Sachen Stringenz häufig mal selber ein Bein stellen, ist dies auf der neuen Platte tatsächlich ein wenig ausgemerzt worden. „Apoptosis“ ist als weiträumiges Absterben der alten Schwachpunkte und Wiedergeburt der Band mit neuen Mitgliedern und neuem Esprit zu verstehen.

ALLEGAEON eingängig und abwechslungsreich wie nie zuvor

Es gibt Verbindungen zwischen technischer Brillanz, eingängigen Melodien und musikalischer Abwechslung wie in „Extremophiles (B)“ als Würdigung an die kleinen, beinahe unkaputtbaren Bärtierchen, was wie eine Mischung aus SYLOSIS und (alten) SOILWORK, die im Backstage mit REVOCATION und THE BLACK DAHLIA MURDER herumgemacht haben, klingt.  Und im Grunde reißt das auch bei den restlichen Songs nicht ein, wo schon mal leichtfüßig zwischen Cleanpassagen und Blastgewittern im Sekundentakt gewechselt wird.

Zusätzlich werden effektive und technisch beeindruckende Melodien als Widerhaken in die Songs gestreut, es darf aber auch gerne in vorsichtiger Dosierung gefrickelt werden. An epische und atmosphärische Momente mit klagenden oder verträumten Leads wagt man sich auch, dringt dabei allerdings noch nicht zu den Höhen der Genre-Primusse wie FALLUJAH oder RIVERS OF NIHIL vor. Das muss man aber auch nicht, da das hier eher Experimentieren innerhalb des eigenen Sounds ist und hier keine anderen Bands frech kopiert werden. Einfachere und groovigere Strukturen dürfen es aber auch mal sein. All das bringt man dann in einem Viereinhalbminüter wie „The Secular Age“ unter, ohne dass es zu verkopft klingt.

Auch der Bass darf mal solieren, ohne allerdings in die Fretless-Eskapaden bekannter Bands wie BEYOND CREATION oder OBSCURA auszuufern. „Metaphobia“ zeigt ALLEGAEON angepisst und eingängig wie zuvor eher selten vernommen und ist im besten Sinne „simplerer“ Haudrauf-Death-Metal. Auch klassische Gitarrenausflüge gibt es wieder im Duett mit Christina Sandsengen auf „Colors of the Currents“ als schönes Zwischenspiel.

Mit „Apoptosis“ sind ALLEGAEON auf dem vorläufigen Zenit ihres Schaffens

Anzukreiden bleibt ALLEGAEON eigentlich nur die auch hier wieder recht hohe Laufzeit des Albums, welches den Songs der zweiten Albumhälfte ein wenig die Puste nimmt und somit auch den Abschlussbrocken „Apoptosis“  als 10-Minüter dann ein wenig schwer im Magen liegen lässt. Ein paar Solos oder Frickel-Parts weniger hätten es auch getan, ohne dass fundamental dadurch etwas verloren gegangen wäre. Das ist aber Meckern auf hohem Niveau, denn neben dem ebenfalls verbesserten Gesang von Riley McShane, der auch ein paar dezente Cleans (in dem tollen „Tsunami and Submergence“ etwa) neben seinen Growls und Keifen beitragen darf, ist auch das Songwriting auf „Apoptosis“ noch einmal ein Stück besser geworden und präsentiert ALLEGAEON mit „Apoptosis“ als bis dato wohl eingängigste und gleichzeitig abwechslungsreichste Platte auf ihrem bisherigen Höhepunkt der Karriere.

PS: Da ALLEGAEON nicht nur Science-Nerds, sondern auch Musikgeeks sind, wie schon das RUSH-Cover der letzten Platte bewies, findet sich auf der Vinyl-Edition als Bonus eine Edition von J.S. Bachs „Konzert in d-Moll (BWV 1052)“. Das als Hinweis für alle Klassik-Affictionados, die das Alte gern im E-Gitarrengewand neu erleben wollen.

 

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15.04.2019

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2 Kommentare zu Allegaeon - Apoptosis

  1. cL0NcK sagt:

    Freue mich drauf!

    Kleine Anmerkung: Der Sänger heißt Riley McShane.

    1. Alexander Santel sagt:

      Danke fürs aufmerksam machen, wurde berichtigt. Da scheint mein Kopf irgendwie Vor- mit Nachnamen vermischt zu haben.