Alcest - Souvenirs D'un Autre Monde

Review

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Eine Revolution sollte es werden. Eine absolute Neuartigkeit, über jeden Zweifel erhaben und mit seinesgleichen suchender Genialität herausstechend. Lange vor Release versprach Prophecy Productions uns eine neue Sensation, in diversen Internetforen kursierten überschwänglich mit Freude geschwängerte Lobeshymnen auf „Souvenirs D’un Autre Monde“. Dass nach einem solchen Höhenflug nur der Fall kommen kann, ist altbekannt. Auf ALCEST trifft das ebenso zu wie auf etliche andere Kapellen, doch stellt der Fall sich nicht als Sturz ins Bodenlose heraus, vielmehr ist es eine erträgliche Ernüchterung. Mit ihrer Mini-CD „Le Secret“ erregte die Band vor zwei Jahren Aufmerksamkeit, primär im Blackmetalunderground. Von der härteren Seite alter Tage allerdings hat man sich längst abgewandt; ALCEST hat sich entwickelt. Weit, weit weg von früher; weg vom Black Metal.

„Souvenirs D’un Autre Monde“ ist durchzogen von musikalischen Andeutungen, nicht Sturm sondern Hauch. Dominiert wird das Klangbild von den omnipräsenten Gitarrenwänden, die höhenlastig verzerrt stets durch die Stücke schweifen und dabei den atmosphärischen Eindruck entscheidend prägen. Um noch mal auf die Andeutungen zurückzukommen: Geht man anfangs bei den Gitarrenwänden davon aus, dass sie irgendwann ihre Dezentheit verlören und zu einem wilden Biest mutierten, merkt man später, dass sie genau das nicht tun. Ähnlich einer meterhoch aufgebäumten Welle, die nicht bricht, sondern verharrt. Hier und da tauchen auch einfach schöne Arpeggios auf der Akustikgitarre auf – Pickingparts, wie ALCESThörer sie von „Le Secret“ schon kennen. Auch beim Drumming hält man es wie mit den Gitarren; man schubst den Hörer nicht, sondern streichelt ihn sanft. Primär veräußert sich das in gedämpftem Midtempdrumming, nichtsdestotrotz blitzen vereinzelt Doublebase- und Blastbeatparts hervor. Inwieweit das sich mit der atmosphärisch-ruhigen Grundattitüde von ALCEST vereinbaren lässt, macht schon der Opener „Printemps Emeraude“ klar, der nach schmeichelnden Pickings gen Ende in schweifend-hymnische Gitarren und erwähnte Doublebase mündet. Das funktioniert hervorragend, da dem Schlagzeug beim Produzieren die Rohheit und Härte genommen wurde, wobei der Druck des Drummings kaum Einbuße hat. Dezent im Hintergrund begleitet schnelles Drumming die verzerrte Gitarrenwand und die beschwörenden Gesänge. Auch wenn Prophecy das sicher gerne so hätte, ist natürlich auch dieser Einsatz des Schlagzeugs keine Einzigartigkeit und keine Neuerfindung des Rades. AMESOEURS lassen hier grüßen. Übrigens ist die Ähnlichkeit zu ebenjener Band auf „Souvenirs D’un Autre Monde“ nicht zu verleugnen, allerdings sind diese weit ungeschliffener, wilder und irgendwie auch kantiger. Dass da Ähnlichkeit besteht, ist aber weder schlimm, noch verwunderlich: Neige ist schließlich auch bei ihnen aktiv. Letzter Grundpfeiler von ALCESTs Schaffen sind die Vocals: Sehr zahm und zurückhaltend, dabei aber auf eine herrlich kitschige Weise wunderschön. Wenn Neige selbst sich die Ehre gibt, klingt das, obwohl die Machart sich sehr unterscheidet, tatsächlich ziemlich stark nach COLDPLAY. Die singen zwar clean und ohne weitere Besonderheiten, während die Franzosen auf chorartigen Gesang setzen, doch Ähnlichkeiten zu Chris Martins Stimmorgan sind nicht von der Hand zu weisen – negativ zu verstehen ist das übrigens nicht, trotz allen Weichspülpops hat der Popsänger einfach ein charmantes Timbre. Die weiblichen Gesangsparts unterscheiden sich kaum von den männlichen, der Abwechslung auf der Platte sind sie dennoch zuträglich, da eine sirenenhafte (und hier spreche ich von den Fabelwesen, nicht von den schrillen Warnsirenen) Stimme doch immer eine besonders schöne Atmosphäre zaubert. Wer Angst hat, dass das in Richtung Gothic-Kitsch geht, sei beruhigt: Dem ist nicht so, ansonsten wär ich mit blutenden Ohren fort gerannt.

Nach all der positiven Lobhudelei nun zu den Kritikpunkten: Wie schon mehrfach betont, schaffen ALCEST hier nichts von Grund auf Neues. Bei dutzenden „Reviews“, die im Netz kursieren, kommt allerdings genau dieser Eindruck auf. Ohne jemandem Böses unterstellen zu wollen: Ich gehe davon aus, dass 2/3 der „Souvenirs D’un Autre Monde“-Rezensenten nicht von Prophecy bemustert wurden, sondern auf Basis eines Internetdownloads ihrer Berufung nachkamen. Nun aber Butter bei die Fische: AMESOEURS wurden als Vergleichsbeispiel schon erwähnt, hinzu kommen starke Parallelen zu Bands und Genres, die den meisten Metalhörern weitgehend unbekannt sein dürften. Neige scheint ziemlich gerne Dream Pop und Slowcore zu hören; Gruppen wie z.B. die COCTEAU TWINS schimmern etwas durch, ebenso Sachen wie etwa MOJAVE 3 oder auch SOPHIA. Klar, dass da auch Assoziationen zu den Urvätern wie JOY DIVISION oder THE CURE nicht fernliegen, diese allerdings eher, was die Stimmung der Musik angeht. Eines kann man ALCEST dabei allerdings nicht nehmen: Neige macht seine Sache durchweg sehr geschickt. Das Ergebnis dieser bunten Mischung weist tatsächlich Eigenständigkeit und Wiedererkennungswert auf, zudem dürfte die Interessentengruppe, die die Band sich bisher erarbeitet hat, die Einflüsse überhaupt nicht bemerken. Würde dann auch das ganze Gerede von der Neuerfindung des Rades erklären. Apropos Zielgruppe: An „Souvenirs D’un Autre Monde“ dürfte eine sehr breite Palette von Musikliebhabern sich erfreuen. Der Metaller mit offenen Ohr, der Alternativehörer, der Folkmusikfan. Ebenso Hörer sanfter Popmusik, was das Album letzten Endes zu weiten Teilen auch ist. Als Feldversuch werde ich das Album einer Freundin vorspielen, die ausschließlich Gefallen an sanftem Pop findet. Ich bin mir sicher, es wird Anklang finden. Fazit: Sofern man nicht mit der Erwartungshaltung herangeht, die Lobeshymnen und Labelwerbung unweigerlich verursachen, erwartet einen mit „Souvenirs D’un Autre Monde“ ein schönes Stück vertonter Atmosphäre voll Harmonie, Schönheit und Licht, gepaart mit Melancholie und Sehnsucht. Reinhören empfohlen!

20.07.2007

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