Alcatrazz - Take No Prisoners
Review
ALCATRAZZ sind die einflussreichste Band von der die meisten Leute noch nie etwas gehört haben. Dieses All-Star-Projekt war dafür verantwortlich, die beispiellosen Solokarrieren von sowohl Yngwie Malmsteen, als auch Steve Vai möglich gemacht zu haben. Ohne diese Band wäre die Welt der Rockgitarre also nicht dieselbe – und das, obwohl Ex-RAINBOW Sänger Graham Bonnet eigentlich nur ein glorifiziertes Soloprojekt auf die Beine gestellt hat.
Umso schockierender, dass Letzterer kurz nach der Reunion 2020 das Mikro an den Nagel hing. Können ALCATRAZZ ohne Bonett überhaupt funktionieren?
Keine Gefangenen bei ALCATRAZZ
Die Veröffentlichung von „V“ im Jahr 2021 hat allen einen wichtigen Fakt vor Augen geführt:
Doogie White ist die einzige Person, die Graham Bonnet ersetzen kann. Es ist nicht nur so, dass der Schotte ebenfalls bei Rainbow unterwegs war und bei Michael Schenker das Mikrofon geschwungen hat – er lieh auch einigen Alben von Ex-Gitarrist Yngwie Malmsteen seine Stimme.
ALCATRAZZ hätten sich also keinen passenderen Sänger backen können. Beide Stimmen sind dennoch völlig unterschiedlich: Doogie White versucht noch nicht einmal, seinen Vorgänger zu imitieren. Wenn „Take No Prisoners“ eines klarmacht, dann ist es, dass die Band auf eigenen Beinen steht und sich nicht auf der Vergangenheit ausruht.
Auf den Schultern von Riesen
Yngwie Malmsteen. Steve Vai. Und… Joe Stump? Wer glaubt, dass Letzterer ALCATRAZZ als Gitarrist nicht gerecht wird, ist schief gewickelt: Der Opener „Little Viper“ eröffnet das Album mit einem äußerst heftigen Riff, welches die druckvolle Produktion und den veränderten Fokus der Band offenbart: Stump verleiht der Band einen viel metallischeren und aggressiveren Charakter. Vorbei ist es mit Yngwie’s neoklassischem Gefiedel sowie mit Vai’s Filigranität: Hier wird klare Kante gezeigt.
Die Single „Don’t Get Mad, Get Even“ wurde mit den absolut passenden Backing Vocals von GIRLSCHOOL bestückt, welche einen idealen Kontrast zu Stump’s wilden und dreckigen Stil liefern. Das, was sich auf „V“ angebahnt hat, wird auf „Take No Prisoners“ konsequent fortgeführt. Hier ist etwas Neues und Eigenes entstanden. Keyboarder Jimmy Waldo und Bassist Gary Shea bilden als Mitglieder der Originalbesetzung zwar die Brücke zur Vergangenheit, doch die Zeiten von Songs wie „Island In The Sun“ sind endgültig gezählt.
Ein frischer Wind
Wie könnten ALCATRAZZ so wie früher klingen, wenn Graham Bonnet nicht mehr dabei ist? Es ist klar, dass sich die Band diese Frage nicht gestellt hat und sich lieber darauf fokussiert, gute Songs zu liefern. Die zweite Single „Battlelines“ ist ein Paradebeispiel dafür und wird von dem darauffolgenden Miniepos „Strangers“ noch übertroffen: Mit diesem Song haben sich Stump/White endgültig als Songwriting-Duo bewiesen und ein kleines Schmuckstück gezaubert, welches den Zuhörer mit seinem balladesken Beginn begeistert.
Es ist auffällig, dass Jimmy Waldo seine Keyboards sehr viel gewählter als zuvor einsetzt: Sein Spiel ist absolut songdienlich und darauf bedacht, die Gitarre von Joe Stump nicht zu ersticken. Er spart sich die Energie für seine typischen, flirrenden Soli auf und steht der Härte des Albums in keinster Weise im Weg.
Kreativität und Eigenständigkeit
Stücke wie „Gates Of Destiny“ und „Alcatrazz“ betonen die neugewonnene Attitüde des Projekts und werden es noch viel attraktiver für Metalheads machen. Es ist offensichtlich, dass man einer völlig neuen Band beim Wachsen zusieht – welchen Sinn die Beibehaltung des Namens „ALCATRAZZ“ noch hat, müssen die Fans selber wissen.
Graham Bonnet hat in der Zwischenzeit eine neue, eigene Version des Projekts erschaffen und Jeff Loomis (ARCH ENEMY, Ex-NEVERMORE) als Gitarristen engagiert. Wer den alten Frontmann vermisst und ein neues Gimmick will, wird in Zukunft wohl an dieser Stelle bedient. Alle anderen können sich über ein tolles Album einer eigenständigen Band freuen: Jeder, der den Proto-Metal der Marke Rainbow liebt, sollte zugreifen.
Alcatrazz - Take No Prisoners
Band | |
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Wertung | |
User-Wertung | |
Stile | Heavy Metal |
Anzahl Songs | 10 |
Spieldauer | 47:23 |
Release | 19.05.2023 |
Label | Silver Lining Music |
Trackliste | 1. Little Viper 2. Don’t Get Mad Get Even 3. Battlelines 4. Strangers 5. Gates Of Destiny 6. Alcatrazz 7. Holy Roller (Love’s Temple) 8. Power In Numbers 9. Salute The Colours 10. Bring On The Rawk |