Eine der undankbarsten Aufgaben eines Musikkritikers ist das Rezensieren von technischem Metal, weniger bei Bands wie ALKALOID oder OBSCURA allerdings, sondern mehr wie in so Fällen der Marke LETTERS FROM THE COLONY oder den hier vorliegenden AENIMUS. Die Musik der letzgenannten ist… gut, für das was sie sein will. Denn wenig transparent bringt es der Pressetext schnell auf den Punkt mit folgender Formulierung:
„Mit einem prall gefüllten Arsenal an technischen Skills und bereit diese auf die Welt loslassen [sic!]“.
Und ja, eine Mogelpackung ist das neue, zweite Album „Dreamcatcher“ der Prog-/Tech-Death-Metaller von der Bay Area definitiv nicht. Es ist eines dieser eklektischen Death-Metal-Alben, welches die unterschiedlichsten Einflüsse nimmt und diesen dann mehr oder minder effizient zur Blüte verhilft. Markantestes Merkmal sind natürlich die Riffs, die sich irgendwo zwischen Mathcore, Djent und zerebraleren Death-Metal-Momenten meist recht klar strukturiert und damit gefällig über den Hörer ergießen.
Die Gitarren bestimmen, wo es bei AENIMUS lang geht
Sie sind Kern, Dreh- und Angelpunkt in einem Sound, der im Grunde nur um diese Riffs herum existiert und mit diesen steht und fällt – eine Bürde, welche die Klampfen von Sean Swafford und Jordan Rush tapfer und kompetent auf ihren Schultern tragen. Jedes andere Element im Sound der US-Amerikaner fügt sich dem, was die Gitarren vorgeben – und das macht Spaß, auch wenn das Songwriting nicht immer ganz inspiriert und etwas fragmentarisch herüberkommt. Das reine, technische Spektakel aber gefällt bei AENIMUS auf jeden Fall.
Die Klischees wie ruhigere, OPETH-artige, wahlweise auch jazzige AUGURY-Einschübe und ein bisschen kitschiges Synth-Geklimper, aber auch eine ganze Reihe an Hardcore-Anleihen zeigen zumindest, dass die US-Amerikaner ehrlich genug sind, um mit offenen Karten zu spielen. Da verzeiht man der Band das Fehlen einer eigenen Duftmarke, vor allem, wenn das alles mit so viel Energie und Leidenschaft dargeboten wird wie im kurzen aber heftigen „My Becoming“.
Der „Dreamcatcher“ hat sich da was eingefangen…
Kommen wir nun aber zum großen ABER von „Dreamcatcher“: Das ist nämlich der Gesang von Alex Green. Green scheint seine Intonation an die Core-Fraktion angeleht zu haben, er könnte mit seiner roboterartigen, tumb bellenden Darbietung gut bei manch einer Deathcore-Band vorstellig werden. Aber das Gute daran ist, das sein Gebrüll entsprechend so ausdruckslos und berechenbar ist, dass man es eigentlich die meiste Zeit ignorieren kann, weil man eh riechen kann, was seiner Kehle als nächstes entfährt.
Die klaren Gesangspassagen machen eine vergleichsweise solidere Figur, wenn man damit leben kann, dass diese genretypisch und klischeegetreu vom Rest der Gesangsdarbietung sauber isoliert sind und damit selten über den Status als Gimmick um des Gimmicks Willen hinaus wachsen. Sie kommen in jedem Falle aber als willkommene Abwechslung im ansonsten eintönigen Gebelle.
Die US-Amerikaner wären als Instrumental-Band deutlich effektiver
Und wenn man ihn ausblendet bzw. ihn nur als ein als Nebenprodukt beim Musizieren entstandenes Geräusch wahrnimmt, macht „Dreamcatcher“ am meisten Spaß. Böse Zungen mögen behaupten, dass sich hier ein paar Saitenhexer einfach nur mal eben einen schleudern, aber dafür warten AENIMUS dann doch mit etwas zu viel Nuancen auf, um als Wichsfiguren abgetan zu werden. Klar, das ziellose Gefrickel ist beim technischen/“progressiven“ Death Metal ja zu einem Kavaliersdelikt geworden.
Aber man steigt in so ein Album nun mal nicht mit einem Glas Wein bewaffnet auf dem Samtsessel sitzend ein, sondern will sich ja gepflegt wahnwitzige Riffs um die Ohren ballern lassen. Das machen die US-Amerikaner bei den eröffnenden, Klang gewordenen Schellen, die „The Overlook“ dem Hörer verpasst, noch am kompetentesten. Und bei „Second Sight“ hat selbst Green mit seiner klar gesungenen Passage gegen Ende des Tracks einen seltenen, lichten Moment.
„Dreamcatcher“ ist also, was es ist: AENIMUS wollen viel und das zeigt sich auch im werkschauartigen Charakter des Songwritings. Es ist natürlich in gewissem Sinne masturbativ, kommt aber immerhin am Ziel an und beeindruckt daher nicht nur durch reine Technik, sondern auch mit dem gewissen Extra an Feingefühl. Wenn jetzt noch ein Kraut gegen diesen Grunzroboter gewachsen wäre…
Es gibt unzählige Bands da draußen, die haargenau so klingen und allesamt todlangweilig sind. Furchtbarer Mist. Der Letters from the Colony Vergleich erschließt sich mir übrigens nicht, ist besagte Band den hier reviewten Klappskallis doch um Längen voraus und das in jederlei Hinsicht.