Eine der wohl am heiß ersehntesten Death-Metal-Platten dieses Jahres ist zweifelsohne die neue Offerte der belgischen Prügelknaben ABORTED, welche seit heute in den Läden steht. Sie genießen einen guten Ruf, stehen aber ebenso mit jedem Album unter einem hohen Erwartungsdruck. Die drei metal.de-Redakteure Bastian, Markus und Matthias nahmen „Strychnine.213“ genau unter die Lupe, und kamen leider zu einem etwas ernüchterndem Ergebnis.
Hach, wie war das schön vor drei Jahren, als ABORTED alle Erwartungen übertrafen, und uns mit „The Archaic Abattoir“ das wahre Goremageddon auf Erden bescherten. Ein gewaltiger Abrißbirnensong jagte den nächsten, und die Belgier machten gar keine Anstalten, den Quell von oberbrutalem Geprügel und astreinen Arschtreter-Riffs versiegen zu lassen. Als „Slaughter and Apparatus“ vor den Türen stand, war offensichtlich, welch‘ hohe Meßlatte sich die Band damit eigentlich selbst gesetzt hatte. Wie soll man auch gefühlte 100 Prozent noch steigern können?
ABORTED antworteten mit einer Weiterentwicklung ihres Stils, die klar machte, dass sie kein zweites „Abattoir“ wollten. Aber obwohl „Slaughter…“ ebenso wenig Kompromisse in Sachen Brutalität und Wirksamkeit machte, wurden schon leichte Risse in der Fassade deutlich.
Spätestens mit „Strychnine.213“ steht die Band aber nun am Scheideweg, und um ganz ehrlich zu sein: Wohin sie mit dem neuen Werk will, bleibt mir schleierhaft. Was zunächst auffällt, ist der deutlich andere Produktionsansatz: Der Sound des Albums knallt nicht mehr so offensichtlich wie die Vorgänger, vor allem das Schlagzeug klingt teilweise etwas matt und schwächelnd. Aber an diese Änderung gewöhnen sich die Ohren schnell, und sie stellt auch nichts Negatives dar. Denn ABORTED haben auf keinen Fall verlernt, was es heißt, brutalen Death Metal mit technischer Raffinesse zu spielen. Wer die Band schon mal live erleben durfte weiß, was da für erbarmungslose Berserker am Werk sind.
Allerdings packt die Band den Holzhammer längst nicht mehr so gnadenlos an, wie früher. Unter die Songs mischen sich auffallend häufig ABORTED-untypische, groovende Moshparts (so z.B. in „Enterrement Of An Idol“, „Avarice Of Vilification“), und schon sehr schnell wird deutlich, dass „Strychnine.213“ eine ordentliche Portion Core-Einflüsse getankt hat.
Das wäre alles nicht so wild, wenn man diese Scharte durch ausgefeiltes Songwriting und einfach die gewohnt geilen Abschädelnummern auswetzt, aber dem ist mitnichten so. ABORTED klingen auf „Strychnine.213“ erschreckend gesichts- und identitätslos, es fehlen die magischen, fesselnden Momente in den Songs, die einschlagenden und mitreißenden Melodien; und nach 37 Minuten fragt man sich wie nach einer Runde schlechtem Sex: „War das jetzt schon alles?“
„Strychnine.213“ lief bei mir in den letzten Tagen hoch und runter — ich war in Stimmung, ich wollte es! Aber dieser Moment, auf den ich hoffte, er kam nicht; der zündende Funke, der das Feuer entfacht. Nach „Slaughter…“ habe ich natürlich auch kein zweites „Abattoir“ erwartet, erhofft oder gar vorausgesetzt, aber wenigstens ein Album, welches einer Band des Namens ABORTED würdig ist. Denn ganz ehrlich: Die hohen Maßstäbe, die an dieses Werk angesetzt werden, hat die Band mit ihrem bisherigen Schaffen selbst festgelegt. Unter einem anderen Namen würde „Strychnine.213“ bedrohlich nah am Rande des Durchschnitts schwimmen. Sowas kommt heutzutage von jeder drölfzehnzwanzigsten Metalcore-Band, aber doch nicht von ABORTED! Jungs, was ist denn los? Ihr könnt viel mehr!
6/10 (Bastian)
Viel Positives gibt es über das neue ABORTED-Album wirklich nicht zu sagen. Die positive Eigenschaft bezieht sich dieses Mal hauptsächlich auf das spielerische Können der Belgier, die noch mal eine Schippe draufgelegt haben an tightem (Zusammen-)Spiel und es ganz gut knallen lassen. Die Abmischung ist nicht verkehrt, aber dem neuen Stil zu sehr angepasst und meines Erachtens leider zu neutral und oberflächlich ausgefallen.
Damit wären wir auch schon beim neuen Stil angelangt, der mittlerweile zu Core-lastig und im Vergleich zu den letzten Alben definitiv lascher und ruhiger ausgefallen ist. Weniger Blastbeats und Geprügel, mehr Breakdown-, Mosh- und Groove-Anteile. Dadurch scheint die komplette Musik austauschbar und könnte so auch von jeder anderen, x-beliebigen Deathcore-Band stammen. Dazumal das Album nur an einem vorbei rauscht und keine herausragenden Momente aufweist, die einem im Gehör und Sinn bleiben könnten. Das war leider einmal anders.
Fazit: Das ganze Album wirkt einfach perfekt an den heutigen Markt angepasst und mag in der Hinsicht vielleicht, wie von manch anderem Kollegen gesehen, zukunftsweisend sein – Weiterentwicklungen und solche Dinge sollte man niemandem absprechen, erst recht nicht einem Musiker oder Künstler. Aber wenn der Stilwandel so arg ausfällt wie in diesem Fall, gerät diese Ansicht schon hart an ihre Grenzen. (Auch wenn es stilistisch nicht so sehr passt, erinnert mich die Situation dennoch arg an SUBWAY TO SALLY zu Zeiten von „Engelskrieger“ oder METALLICA zu Zeiten von „St. Anger“.)
Man kann hier wirklich von einem Rückschritt sprechen. Die Fans von „Goremageddon“ und „Archaic Abattoir“ bleiben dabei definitiv auf der Strecke, die Core-Anhänger wird es hingegen vermutlich freuen. Hätten sich ABORTED die Messlatte nicht selbst so hoch gelegt, sähe das wahrscheinlich anders aus. War „Slaughter And Apparatus“ schon ein Rückschritt, vollzieht „Strychnine.213“ diesen Schritt in extremer Weise weiter.
Wäre dieses Album von einer anderen Band des Genres, welche den Standard ABORTEDs noch nicht erreicht hat, gäbe es von mir vielleicht sieben oder acht Punkte. Aber unter Berücksichtigung der bisherigen Leistung der Belgier bleibt es leider bei guten sechs Punkten.
6/10 (Markus)
Ich war sehr gespannt auf die neue ABORTED, besonders im Rückblick auf den eher durchwachsenen Vorgänger „Slaughter & Apparatus“, welches zwar ein ordentliches, aber eben nicht herausragendes Album war.
Zunächst fällt auf, dass „Strychnine.213“ spieltechnisch ein sauberes und grundsolides Stück Musik geworden ist. Die Band hat sich an ihren Instrumenten hörbar entwickelt, was unter anderem in relativ hohem Abwechslungsreichtum und auch in einer ungewohnt modernen Ausrichtung der Songs resultiert. Der Sound geht überhaupt kerzengerade mit der Zeit und entspricht in Gänze den heutigen Standards, was allerdings letztendlich dazu führt, dass ABORTED nicht aus dem Wust der monatlichen Veröffentlichungen herausstechen.
Ohnehin klingt „Strychnine.213“ durch und durch austauschbar. Angefangen beim soeben erwähnten Sound, der Produktion, bis hin zum Songwriting und überhaupt den einzelnen Parts, haben ABORTED ein zeitgenössisches Werk abgeliefert, das gerade mal so die derzeitigen Standards erfüllt und zu keiner Sekunde darüber hinaus wächst.
So wie die Musik auf „Strychnine.213“ klingt mittlerweile jede zweite Band. Die eigene Note der Belgier ist weitestgehend abhanden gekommen. Alles klingt einfach nur noch nach Standard. Keine besonderen Vorkommnisse, keine besonderen Ideen, keine Killerparts, oder zusammengefasst: Keine besondere Musik. Die Höhepunkte fehlen komplett.
Wo sind die von ABORTED so bekannten führenden Gitarren-Leads geblieben, wo der Vorschlaghammer, der einem immer mal wieder dem Atem anhalten ließ? Die Musik ist für ABORTED-Verhältnisse viel zu zaghaft. Zwar gibt es hier viel Death Metal und auch einige Blastbeats, aber alles klingt vollkommen verkopft. Hier wird nicht mehr mit der geballten Faust ans Kinn geschlagen, sondern mit der flachen Hand zaghaft auf den Kopfschutz. Die Durchschlagskraft fehlt durch und durch und ich Frage mich ernsthaft, ob das Absicht ist oder ob die Band schlichtweg das Feeling für die Wirkung ihrer Musik verloren hat?!
Zwar war und ist „Slaughter & Apparatus“ für mich ein halber Durchhänger, aber dennoch längst nicht so schlimm wie „Strychnine.213“. Hier regiert stinknormaler Death Metal mit modernen Einflüssen, allerdings durchgehend auf mittelmäßige Qualität reduziert. Es plätschert und plätschert und plätschert und am Ende fragt man sich tatsächlich, ob es die Zeit des Hörens wert war. Sicher, das eine oder andere einzelne Riff gefällt aber ich persönlich habe nicht einen einzigen Part auf dem Album gehört, der mich aus den Socken haut oder zumindest mitreißt oder mich wenigstens aufhorchen lässt. Hier gibt es rein gar nichts außer „ganz netten Death Metal“. Das, was ABORTED auf „Strychnine.213“ veranstalten, kann und macht heute jede zweite Band. Ich persönlich bin ziemlich enttäuscht von dieser erschreckenden Einfallslosigkeit. Mit hoher Qualität kann ich den Namen ABORTED mittlerweile nicht mehr in Verbindung bringen. Sehr schade und ernüchternd.
5/10 (Matthias)
Archaic Abbatoir und Goremaggedon bleiben wohl unerreicht für die Belgier.
Dennoch ist die aktuelle Scheibe immer noch um Welten besser, als das, was einem sonst aus dem Bereich geboten wird, daher 7 Zähler von mir.