Mit “Jehanne” lassen ABDUCTION aus Paris nach “Une Ombre Régit Les Ombres” (2016) und “À L’heure Du Crépuscole” (2018) bereits ihr drittes Album auf die Menschheit los. Obwohl die beiden Platten alles andere als schlecht sind, scheint sich die Schwarmbegeisterung in Grenzen zu halten. Hoffentlich ändert sich das mit “Jehanne” nun. Der knackige zeitgenössische Black Metal ist zunächst etwas irritierend, kann aber mit einiger Originalität überzeugen.
Mit “Jehanne” lassen uns ABDUCTION störungsfrei in der Zeit reisen
Titel und Cover versuchen nicht zu verbergen, dass ABDUCTION dieses Mal ein Konzeptalbum über die französische Nationalheldin Jeanne d’Arc veröffentlichen. Das ist prinzipiell nichts Neues. Dennoch gibt es bisher erstaunlich wenige komplett auf Französisch verfasste Alben, die sich dem Thema widmen. Seit Bands wie ALCEST und AMESOEURS dürfte hinlänglich bekannt sein, dass sich diese Sprache hervorragend eignet, um verzweifelte Black-Metal-Screams zu transportieren.
Die Befürchtung, dass ABDUCTION hier ein kitschiges Plastik-Konzeptalbum im Stil einer dilettantischen CRADLE-OF-FILTH-Epigone veröffentlichen, ist zum Glück mit den ersten Momenten des Openers “Aux Loges Les Dames” schnell verflogen. Eröffnet von Akustikgitarren, die an SILENCERs “Death, Pierce Me” erinnern, folgen melodische Tremolo-Riffs und ballernde Blast-Beats. Das lässt deutliche Assoziationen zu den ersten beiden Alben von DER WEG EINER FREIHEIT und NAGELFAR zu. Originell und zunächst wirklich verwirrend sind die prominent platzierten, sakral anmutenden Cleanvocals, die den frühen ULVER, IN THE WOODS und ARCTURUS sehr ähnlich sind. Insgesamt hätte “Jehanne” erdiger produziert sein können, um uns vollends ins 15. Jahrhundert zu katapultieren. Trotzdem ist ABDUCTION eine dichte Atmosphäre gelungen, die dazu einlädt, “Der Name der Rose” oder einen anderen History-Schmöker beim Hören zu lesen.
“Jehanne” ist würdevolle Theatralik ohne Kitsch
Das Songwriting auf “Jehanne” ist ungemein abwechslungsreich, vermag es aber, jedem neuen Part einen logischen Platz im Gefüge zuzuweisen. Somit ist das Album zwar nicht kurz, aber sehr kompakt. Die beiden direkt aufeinanderfolgenden Longtracks “Par Ce Cœur Les Lys Fleurissent” und “La Chevauchée De La Loire” entfalten so einen bemerkenswerten Spannungsbogen, der sich über die volle Länge von “Jehanne” halten kann. Das Album befindet sich im nahezu perfekten Fluss. Der dominante Klargesang bleibt zunächst befremdlich, entwickelt aber einen eigenen Reiz – er verleiht “Jehanne” zudem eine narrative Qualität, die wunderbar durch die Geschichte des Albums führt.
In der Mitte haben ABDUCTION mit “Dieu En Soit Guarde” und dem überwiegend akustischen Interlude “Foi En Ses Murs Jusqu’aux Rats” schlauerweise zwei verhältnismäßig ruhige und dennoch dunkle Stücke platziert, die im Kontext des Albums wie ein Vorhangwechsel vorm nächsten Akt wirken. Das folgende “Battue Par Les Flots Jamais Ne Sombre” peitscht darauf im gewohnten “Blast-Beat-und-Rasierklingen-Riff”-Modus weiter und bereitet mit traurigen Melodien langsam auf das baldige Martyrium Jeanne d’Arcs vor. “Très Fidèle Au Roi Et Au Trône” ist ein letztes Aufbegehren, eine finale Reflexion der trotzigen und doch zum Tode verdammten Heldin. Mit Feuerknistern und Akustikgitarren eingeleitet, bildet “Aux Marches De Lorraine” zuletzt die klassische Katastrophe der Tragödie. Passend dazu krächzt Shouter François Blanc mit brüchiger Stimme Jeannes Abschied an die Welt hinaus, bevor Cello und klassische Gitarren die Protagonistin beerdigen.
Zum Glück mehr ZDF History als Hollywood
“Jehanne” ist ein wirklich feines zeitgenössisches Black-Metal-Album, das Fans von DER WEG EINER FREIHEIT oder WINTERFYLLETH mit Hang zur französischen Sprache unbedingt ausprobieren sollten. Wem die naturverbundene Norwegen-Schule der frühen Neunziger (s. o.) zusagt, kommt ebenso auf seine/ihre Kosten. Einzig das sehr technische und modern gemixte Schlagzeug ist ein geringer Störfaktor. Da aber noch zu hören ist, dass hier ein Drummer aus Fleisch und Blut am Werk war und es wesentlich sterilere Genre-Produktionen gibt, ist dieser Punkt leicht zu verschmerzen. Statt Plattitüden und Bombast-Kitsch ist ABDUCTION ein sehr rundes Album gelungen, das ihnen hoffentlich zu mehr Beachtung verhelfen wird.
>Fans von DER WEG EINER FREIHEIT oder WINTERFYLLETH<
Oh Mann.. nee, heute nicht.
Geht leider genau wie WINTERFYLLETH nicht an mich ran. Vor allem diese getriggerten Drums, ist doch ein Drumcomputer, oder?
Keine Ahnung, ich hör‘ sowas zu 90% gar nicht raus.
Laut Review, nein! Aber da das mMn sowieso mehr in die postige Richtung geht, kann man das denk ich eher akzeptieren als bei Winterfylleth. Das würde die Musik tatsächlich kaputt machen…
Nur weil der Drummer seinen Snareteppich angezogen und seine Bass vernünftig hat abnehmen lassen, ist das hier noch lange nicht überoroduziert. Ich finde den französischen Heldentenor ungleich schimmer.