77 lösten schon mit ihrem 2009er Debüt “21st Century Rock“ heiße Diskussionen bei Musik-Liebhabern und Presse aus: Handelt es sich hier nun um einen ideen- und innovationslosen AC/DC-Klon oder um eine Band, die einen Musikstil fortführt, der seit Jahrzehnten gleichbleibend viele Fans anspricht?
Im Endeffekt wird jeder diese Frage für sich entscheiden müssen. Ich für meinen Teil werde mich auf die Seite der 77-Liebhaber schlagen. Wer also AC/DC generell als einzig wahre Riff Rock-Combo ansieht, sollte die Zeit, die er für das Lesen dieser Review benötigen würde, lieber sinnvoller investieren. Obwohl auch ich dieser kritischen Gruppe im Grund zunächst einmal Recht geben muss: Das musikalische Rezept, das die Gruppe aus Barcelona hier abliefert, ist seit den 70ern bestens bekannt, wo es in Australien entstand und von AC/DC und ROSE TATTOO in die Welt hinaus getragen wurde. Mit reichlich Blues angereicherter Hard Rock, der vor allem auf knackigen Riffs und eingängigen Rhythmen basiert. Diese Idee war damals so einfach wie genial und hat auch vierzig Jahre später nichts von ihrer Qualität eingebüßt. Natürlich müssen alle Combos, die heute noch dieser Musik frönen, zwangsweise an die alten Helden erinnern. So kommt einem auch beim Hören dieser Scheibe das ein oder andere Riff, ein Rhythmus oder ein Solo-Part schon einmal bekannt vor. Zudem kann Sänger Armand die Leistung eines Bon Scott nicht ganz erreichen, wenn er auch extrem nah dran ist.
Allein dieser Punkt dürfte für die Katalanen schon einmal auf der Haben-Seite stehen. Kaum ein Sänger konnte in letzter Zeit diese sympathisch-rotzige und trotzdem melodiöse Art des leider viel zu früh verstorbenen Australiers so gelungen interpretieren. Überhaupt scheinen sich 77 stärker an dieser frühen Ära der Geschichte von AC/DC zu orientieren. Denn während Bands wie AIRBOURNE mit ihrer ungezügelten Energie einfach nur nach vorne preschen und alles niederwalzen, was ihnen im Weg steht, setzt dieses Quartett auf andere Qualitäten, die am Rausschmeißer “Promised Land“ wohl am deutlichsten werden. So steht dieses Stück mit seinen über acht Minuten Spielzeit stellvertretend für alle zehn Nummern, die sich reichlich Zeit lassen, um alles unterzubringen, was zu einem guten Riff Rock-Song nun einmal dazu gehört: Flirrende Soli, eingängige Refrains und mitreißende Rhythmen. Dabei ist der Track eher im Mid-Tempo-Bereich angesiedelt und weist einen erheblichen Einschlag aus dem Blues auf, welcher den des Originals phasenweise sogar übertrifft.
Ist das alles neu und innovativ? Nein! Ist das schlimm? Ebenfalls nein! Die Riffs, Melodien und Texte bleiben zwar nicht wie bei AC/DC oder ROSE TATTOO tagelang im Ohr, aber doch stundenlang, was bei weniger großen Vorbildern wohl jedem mehr als nur ein anerkennendes Nicken abringen würde. So haben es 77 geschafft, mit “High Decibels“ eine musikalische Tradition fortzuführen, die vor mehr als vierzig Jahren begann. Und mal ganz ehrlich: Wer das mit so viel Leidenschaft, Intensität und Können tut, der kann auf Innovation und Eigenständigkeit getrost verzichten.
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