Within Temptation und Annisokay
Bleed Out Tour 2024

Normalerweise weiß ich schon auf dem Heimweg danach, wie ich ein Konzert bewerten werde. Selten vertieft sich meine Meinung später noch bedeutsam. WITHIN TEMPTATION ist dies mit ihrer “Bleed Out Tour 2024“ gelungen: Einzelne Momente, die am Abend selbst im Adrenalinrausch untergingen, gewannen im Nachhinein an Bedeutung.

In Gedanken bei der Ukraine

Es fängt mit dem an, was fehlt: Die Vor-Vorband BLIND8 kann aktuell nicht dabei sein, weil ihre Mitglieder gerade Wehrdienst leisten, um die Ukraine zu verteidigen. Das erfährt man schon früh bei ANNISOKAY, der vierköpfigen Vorband aus Sachsen-Anhalt. Später, bei WITHIN TEMPTATION, wird der Widerstand der Ukraine noch mehr Raum einnehmen.

Zu Beginn gibt es bei ANNISOKAY einen guten, harten Sound bei wechselhafter Lichtshow. Stilistisch fügt sich ein LINKIN-PARK-Cover „One Step Closer“ sehr gut in das Set von ANNISOKAY ein. Insgesamt sind sie eine gute, aber nicht umwerfende Vorband: Einige im Publikum kennen sie bereits, beim Lichtermeer erheben sich wirklich viele Handy-Taschenlampen und es wird gut Stimmung für WITHIN TEMPTATION gemacht.

Annisokay – Bleed Out Tour 2024

Die wiederum setzen jetzt schon ihr erstes Zeichen, dass sie an Zusammenarbeit glauben: Für einen Song steht WITHIN TEMPTATION-Sängerin Sharon Den Adel bei ihrer Vorband mit auf der Bühne –mal in Shirt und Hose statt ausladendem Kleid. Umgekehrt laden die Niederländer von WITHIN TEMPTATION auch den ANNISOKAY-Sänger und Gitarristen, Christoph Wieczorek, zu sich auf die Bühne ein: Bei “Shed My Skin“, dem vierten Song ihres Sets, darf er später erneut auftreten. Eine schöne Geste des Respekts.

Galerie mit 12 Bildern: Annisokay - Bleed Out Tour 2024 in Hamburg

Ein Set, das mit Krieg beginnt

WITHIN TEMPTATION eröffnen ihre sehr gute Show, mit “We Go To War“. In rotes Scheinwerferlicht gehüllt, vor einer meist roten Videowand voller zerstörter Kulissen, performen sie diesen martialischen Song. Währenddessen schießen immer wieder meterhohe Rauchsäulen zur Decke. Darauf folgt der Titelsong der Tour, “Bleed Out“ während rote Blutkörper über die Videowand gleiten. Als nächstes kommen einige Klassiker wie “Shot In The Dark“ und “Stand My Ground“.

Die Rolle der prägenden Erinnerung gebührt einem später folgenden Song: “A Fool´s Parade“. Ich höre ihn an dem Abend zum ersten Mal und er holt mich musikalisch nicht einmal besonders ab, aber er bringt mich nach dem Konzert zum Grübeln.  Zusammen mit Alex Yarmak, einem Sänger aus Kyiv, singt Sharon über den Krieg in der Ukraine. Im Moment selbst geht die Bedeutung etwas im Konzert unter. Der auf den Song folgende Aufruf, für die Luftabwehr der Ukraine zu spenden, um russische Drohnen auszuschalten, bekommt sehr viel Applaus. Doch erst einmal fühlt es wie ein Einschub ein.

Erst später erfahre ich, dass WITHIN TEMPTATION für den Videodreh extra in die Ukraine gefahren sind und gewinne nach und nach den Eindruck, dass es nicht nur eine Geste, sondern echte Überzeugung ist. Was sagt das über unsere Zeit aus, dass wir hier ein Konzert feiern, während in der Ukraine Luftschutzsirenen aufjaulen?

Galerie mit 23 Bildern: Within Temptation - Bleed Out Tour 2024 in Hamburg

Eine sehr gute Show

Der Rest ist eine typische, aber sehr gute WITHIN-TEMPTATION-Show, viele gut Songs, guter Klang, sehr erfolgreiche Stimmungsmache. Komplimente an Hamburg, eine Empfehlung für die aktuelle Banksy-Ausstellung – Sharon, längst wieder in einem Kleid, weiß, wie man ein Publikum gewinnt und motiviert. Eine sehr schöne Auszeit, die auch in einer sehr stressigen Woche zu mir durchdringt.

Within Temptation – Bleed Out Tour 2024

Das Publikum eskaliert zwar nicht krass, singt und klatscht aber gut mit – was vielleicht daran liegt, dass es ein Dienstagabend und die Halle nicht ausverkauft ist. Die Gäste haben aber sichtlich Spaß, gewinnen mit einem lauten Applaus eine Zugabe aus drei Songs, die auf “Mother Earth, einem wunderschönen Song, endet.

Die Tour empfehle ich allen Fans. Wenn man möchte, kann man einfach ein paar Stunden lang sehr gute Musik genießen. Wenn man es zulässt, kann man aber auch ein Erlebnis haben, was einen noch eine ganz Weile lang grübeln lässt. Ein Konzert, dass nicht nur Zeichen für Zusammenarbeit, Toleranz und Frieden setzt, sondern davon überzeugt ist. Und vielleicht nachwirkt. Das muss diese Kunst sein, von der die Kritik immer redet.

Text: Alexander Cornelius Mühlhausen