Whitesnake
Alice Cooper und Whitesnake live in Stuttgart
Konzertbericht
Wobei hier auch mit zweierlei Maß gemessen werden muss. Denn gegen die Show, die der Altmeister des Grand Guignol zu zelebrieren pflegt, ist schwer anzustinken. Wenn die Bühnenaufbauten auch nicht mehr so imposant wie in der Vergangenheit zu sein scheinen, schafft es das sprichwörtliche amerikanische Lieschen Müller doch jedes Mal aufs Neue, aus einem Fundus von mittlerweile 40 Bühnenjahren zu schöpfen, die immergleichen Zutaten in leicht angepasster Form zu bringen und in ein Greatest-Hits-Set zu schnüren, das sich gewaschen hat. Bereits mit dem einleitenden „It’s Hot Tonight“ springt Miss Cooper gleich einige Jahrzehnte in die Vergangenheit und schmettert hernach auch noch „No More Mr. Nice Guy“, „Under My Wheels“ und „I’m Eighteen“ einem Fort herunter.
Ansagen gibt es keine, die Show ist komplett durchchoreographiert. Und der Mann weiß, was er seinem Publikum schuldet. Denn nicht nur optisch gibt es wieder viele alte Bekannte, auch songtechnisch. Auffällig ist die Häufung von wirklich alten Songs. So ist das „Killer“-Album von 1971 gleich mit vier Songs vertreten, die man nicht gerade oft zu hören bekommt und die eindrucksvoll unterstreichen, dass „Poison“ zwar nett, aber noch lange nicht das Geilste ist. Alice schafft es, so unterschiedlich klingende Songs wie „Cold Ethyl“ oder „Devil’s Food“, die mit Hard Rock so gut wie nichts zu tun haben, mit Titeln wie „Feed My Frankenstein“ zu kombinieren und trotzdem alles homogen klingen zu lassen. Denn so wandelbar die MADONNA des Hard Rock auch ist, so unverkennbar ALICE COOPER sind seine Songs auch stets. Und langsam wird es eben echt schwer, aus dieser Fülle an Hits auszuwählen. Das wird wahrscheinlich der Grund dafür sein, dass „Steven“, „Ballad Of Dwight Fry“ diesmal als Medley angereichert mit „Dead Babies“ dargereicht werden. Die Zwangsjacke kommt aber trotz aller Eile zum Einsatz.
Wie viele Leute nur wegen „Poison“ gekommen sind und wie viele tatsächlich auch die alten Gassenhauer schätzen, lässt sich schwer abschätzen. Bei Eintrittspreisen von 50-60 Euro werden es jedoch hauptsächlich letztere sein, schließlich sind wir in Stuttgart. Auf den Rängen wird geschunkelt und geschwoft, sodass die akkuraten Menschen vom Sicherheitsdienst alle Hände voll zu tun haben. Es ist schon skurril zu sehen, wie sich die Securitys abmühen, selig vor sich hin tänzelnde, renitente Herrschaften auf ihre Plätze zu verweisen, die locker ihre Eltern sein könnten. Man kann es ihnen nicht verdenken, denn was ihnen auf der Bühne geboten wird, ist klasse. Und vielleicht sind sie ebenso dankbar wie ich, dass Alice dem Schmalz von Herrn Coverdale etwas entgegenzusetzen hat. Wenn er bei „Only Women Bleed“ wieder die Puppe verdrischt, ist die WHITESNAKE’sche Süßholzraspelei schnell vergessen. Denn das sind genau die Elemente, die man von einer COOPER-Show erwartet, und die Alice auch heute Abend auffährt.
Zu „Dirty Diamonds“ verschenkt er Perlenketten in den vorderen Reihen, die damit nach knapp anderthalb Stunden Hypnose durch die weiße Schlange erstmals richtig in Wallung kommen. Zu „Billion Dollar Babies“ gibt’s Geldscheine und zu „School’s Out“ die obligatorischen Konfettiballons, mit denen das Publikum spielen darf, bevor Alice sie mit seinem Degen zersticht und der Schnipselregen auf die Leute niedergeht. Was fehlt also noch? Richtig: „I Love The Dead“. Der Song, bei dem Alice traditionell per Guillotine enthauptet wird. Doch auch hier gibt es dieses Jahr eine Neuerung: das Hackebeil wurde durch einen Galgen ersetzt, der dem Zeremonienmeister den Garaus macht.
Genau das sind die erwähnten Variationen der unverrückbaren Konstanten, die das Herz der Show bilden, die dadurch immer frisch wirkt. Persönlich bin ich kein Freund seiner Seitenhiebe auf Britney Spears oder Paris Hilton, die er bei seinen vergangenen Tourneen in seiner Show zu fragwürdigen Ehren kommen ließ. Das passt einfach nicht. Aber für solche Mätzchen ist heute Abend ohnehin keine Zeit. Doch auch wenn die Show etwas rastlos und hektisch wirkt, gibt es nichts zu meckern. Außer dass wieder kein Song von „The Last Temptation“ an Bord ist. Natürlich gibt es zum Abschluss noch das unvermeidliche „Poison“ für alle Radiohörer, die damit genauso selig nach Hause gehen dürfen, wie die Leute, für die es zu diesem Abend nichts hinzuzufügen gibt.
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