Wave Gotik Treffen
Der große Festivalbericht vom 24. WGT 2015 in Leipzig
Konzertbericht
Samstag
Die WGT-Organisatoren hatten in diesem Jahr ein wenig am Gesamtkonzept gefeilt, was eine striktere zeitliche Trennung zwischen Konzerten und Rahmenprogramm zur Folge hatte. Dadurch fiel zum Leidwesen vieler Besucher die Parkbühne als Open-Air-Location weg, auf der sich sonst bereits nachmittags einige Geheimtipps präsentierten. Da nun kaum eine Location vor 17 Uhr ihre Pforten öffnete, blieb deutlich mehr Zeit für das umfangreiche Kulturprogramm, von dem man sonst nur wenig mitbekam.
Abseits der Musik erwartete die WGT-Besucher eine ganze Reihe sehenswerter Veranstaltungen – zum Beispiel die Fotoausstellung „Totenstill – Mystische Friedhöfe und Ruinen“ im Atelier Nord. Was im ersten Moment nach Kitsch und Klischee klingt, entpuppte sich als Kulturhighlight für den anspruchsvollen Grufti. Die Werke des Italieners GIOVANNI PERNA zeigten stimmungsvolle Aufnahmen internationaler Friedhöfe, die nicht nur die Endlichkeit des Lebens zum Hauptthema hatten, sondern vor allem auch den unterschiedlichen Umgang der Kulturen mit Verstorbenen zeigten – von Keltenkreuz-Steinen auf irischen Ruhestätten bis hin zu den imposanten Gruften in New Orleans. Richtig schaurig: die Digitalcollagen, bei denen der Künstler entsprechend gestylte und gephotoshoppte Personen als Geister nachträglich in Ruinenlandschaften einfügte. Da lief es einem herrlich kalt den Rücken hinunter.
Durch die „Bierfreunde“ und den „Getränkefeinkost Leipzig“ auf den Geschmack gekommen verschlug es uns am frühen Nachmittag zur Bierbörse am Völkerschlachtdenkmal, die erfreulicherweise parallel zum WGT stattfand. Neben den europäischen Big Playern waren hier auch zahlreiche kleine Brauereien aus dem In- und Ausland vertreten.
Galerie mit 6 Bildern: Biermeile - Wave Gotik Treffen 2015Störtebeker zählt im Segment der Craft-Biere schon zu den Großen und hatte sich mit einem Schiff direkt in der Mitte platziert. Leider wurden die guten Biere viel zu kalt ausgeschenkt, so dass der Geschmack auf der Strecke blieb. Besser machten es ein paar lustige Iren, die uns mit einem ordentlichen „Crazy Mick’s Pale Ale“ versorgten und von einer WGT-Party schwärmten, auf der sie am Vorabend komplett abgestürzt waren. Die Zwönitzer Brauerei, die ebenfalls einige ausgezeichnete Biere im Sortiment hat, kam mit ihrem Bierhugo vor allem bei den Mädels an.
Anschließend begaben wir uns zum benachbarten Südfriedhof, um nach zehn Jahren WGT auch mal die Führung durch die 82 Hektar große parkähnliche Ruhestätte mitzunehmen. Leider war der Andrang mit rund 250 Leuten so groß, dass kaum Aussicht bestand, etwas von den vorgetragenen Informationen mitzubekommen. So brachen wir die Aktion ab, bevor sie begonnen hatte und fuhren wieder Richtung Innenstadt. Die Wartezeit aufs erste Konzert vertrieben wir uns im Luxushotel Fürstenhof, wo die Designerin LUCARDIS FEIST ihre opulente „Philosophia-Mode“ für Damen und Herren ausstellte. Zugegeben, ich verstehe rein gar nichts von Modedesign, fand die präsentierten Outfits aber durch die Bank ziemlich schick. Kein Wunder, hat Feist doch schon die Bühnenkleidung für Szenegrößen wie ASP entworfen.
Galerie mit 4 Bildern: Südfriedhof Lucardis Feist - Wave Gotik Treffen 2015THE BEAUTY OF GEMINA
Bei THE BEAUTY OF GEMINA stand für mich bereits mit ihrem 2006er-Debüt „Diary Of The Lost“ fest, dass die Schweizer mit ihrem hypnotisierenden Dark Wave/Gothic Rock mal eine ganz große Nummer in der Szene werden. Mussten sie als Newcomer auf dem WGT 2008 noch das kleine Kämmerchen der Moritzbastei mit einem grandiosen Auftritt bespielen, durften sie 2011 mit drei Alben im Gepäck dann schon auf der Parkbühne vor einer deutlich gewachsenen Fanschar auftreten. Der Höhenflug scheint nicht zu stoppen zu sein. Das letzte Album „Ghost Prayers“ wurde in nahezu allen Redaktionen mit Lobpreisungen überschüttet, weshalb es kaum verwunderte, dass sich der Felsenkeller am Samstag fast bis zum Anschlag füllte.
War Frontmann und Bandkopf Michael Sele vor sieben Jahren die Live-Nervosität noch ein wenig anzumerken, hat er sich im Laufe der Zeit zu einer charismatischen Rampensau entwickelt, die das Publikum charmant um den Finger wickelt. Bei der Setlist genießen THE BEAUTY OF GEMINA mittlerweile den Luxus, die Qual der Wahl zu haben – zu viele Klassiker haben sich bereits angesammelt. Aber wo ein „Kingdoms Of Cancer“, „Mariannah“ oder „Dark Revolution“ fehlen, gibt es eben „Hunters“, „This Time“ und „Kings Men Come“. Die Schweizer wurden für ihren einstündigen Auftritt lautstark gefeiert und bewiesen, dass das Ende der Fahnenstange noch lange nicht erreicht ist. Im Herbst gehen sie als Vorband mit DIARY OF DREAMS auf Tour – und für einen Teil der Besucher dürften sie dort der eigentliche Headliner sein.
Galerie mit 23 Bildern: The Beauty Of Gemina - Wave Gotik Treffen 2015MOONSPELL
Ein kleines Jubiläum feierten MOONSPELL mit ihrem fünften WGT-Auftritt. Die Portugiesen haben in diesem Jahr mit „Extinct“ ein Album herausgebracht, das so rund klingt wie keine Veröffentlichung der Band seit „Irreligious“. Ärgert man sich normalerweise, wenn eine Formation bei einem Festivalauftritt hauptsächlich neuen Kram spielt, so führte bei MOONSPELL eigentlich kein Weg daran vorbei.
Zu den opulenten Bläsern aus „La Baphomette“ als Intro marschierten die Portugiesen auf die Bühne und zeigten mit „Breathe (Until We Are No More)“ als Opener sofort, wo die Reise an diesem Abend hingehen würde: Packende Ohrwürmer und düstere Hymnen von einer Band, die selten einen gefestigteren Eindruck gemacht hat als mit diesen Monstersongs im Rücken. Unter anderem folgten noch die „Extinct“-Stücke „Domina“, „The Last Of Us“, der Titeltrack und „Medusalem“, aber selbstverständlich sind „Opium“, „Vampiria“ und „Alma Mater“ aus keiner MOONSPELL-Setlist wegzudenken. Beim obligatorischen Abschluss „Full Moon Madness“ lieferte sich Fernando einmal mehr ein packendes Schlagzeugduell mit Drummer Miguel.
Galerie mit 27 Bildern: Moonspell - Wave Gotik Treffen 2015FIELDS OF THE NEPHILIM
Ich trau’s mich kaum zu sagen, aber nach dem mitreißenden MOONSPELL-Auftritt wirkte das Headliner-Set der Goth-Rock-Ikonen von FIELDS OF THE NEPHILIM wie ein saftiger Dämpfer. Dass die Stimmung abflaute, lag aber weniger an der Performance der Szene-Urgesteine, sondern eher an der musikalischen Grundausrichtung. Wo MOONSPELL-Songs die direkte Konfrontation suchen, wirkt das Schaffen von Carl McCoy und seinen Kollegen auf einer unterbewussten, atmosphärischen Ebene. An den FIELDS gab es objektiv nichts auszusetzen – auch die Setlist war gespickt mit Klassikern wie „Moonchild“, „Dawnrazor“ und „For Her Light“. Dennoch fanden wir nicht zueinander und verabschiedeten uns deshalb nach der Hälfte des Sets. Die auf Einlass wartende Grufti-Meute vorm Kohlrabizirkus wird es gefreut haben.
Galerie mit 36 Bildern: Fields Of The Nephilim - Wave Gotik Treffen 2015
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