Wacken Open Air
Festivalbericht vom W:O:A 2011
Konzertbericht
Am nächsten Morgen wache ich im Zelt auf. Dezent verwirrt stelle ich fest, dass aus der ursprünglich geplanten, einen Stunde Schlaf ein gesundes, tiefes Durchschlafen geworden ist. Der Wecker hat keine guten Dienste geleistet, soviel steht fest. Als ich wach genug bin, um mich zu ärgern, mache ich das auch mal gleich. AIRBOURNE habe ich in der Vergangenheit schon das ein oder andere Mal gesehen, aber APOCALYPTICA hätte ich mir schon ziemlich gerne angeschaut. Nun denn, zu ändern ist das eh nicht.
Ein Blick auf die Running Order bringt mich erst mal wieder zum Schmunzeln. Ich hatte es bereits vollkommen verdrängt, dass MOONSORROW den letzten Festivaltag einläuten. So ein wahnsinniger Schwachsinn. Wie kann man eine derart epische Band am Mittag spielen lassen? Vermutlich gehen die Herren sonst erst um diese Zeit ins Bett. Vor der Bühne ist es reichlich voll. Den Pagan Metal der Finnen wollen sich offenbar einige Fans nicht entgehen lassen. Hut ab. Denn drei Tage feiern, moshen, bangen, mitgrölen und alles, was sonst noch zu einem vernünftigen WOA gehört, hinterlässt vielerorts seine Spuren. Nichtsdestotrotz sind die Fans Feuer und Flamme und bereiten MOONSORROW einen gebührenden Empfang, die mit „Kylän Päässä“ in ihr Set einsteigen.
Mich hält es heute allerdings nicht bei den Finnen. Eigentlich schade, denn bisher habe ich immer viel Freude an deren Musik gehabt. Aber irgendwie stimmen die Bedingungen heute nicht. Die Stimmung passt nicht, der Kater faucht auf meinem Buckel, der Kreislauf ist im Zelt geblieben und der Bauch hat Hunger. Da man letzteres Problem am besten lösen kann, begebe ich mich auf einen Streifzug über den Mittelaltermarkt, der bei mir dieses Jahr eh viel zu kurz gekommen ist. Ärgerlich stelle ich fest, dass ich auch gar nicht im Dorf war, um dem lustigen Treiben dort beizuwohnen. Das gabs bisher auch noch nie. Ein Besuch auf dem WOA ohne Ausflug in das schnucklige Dorf. Fluchend und unzufrieden beschließe ich, dass ich nie wieder alleine von diesem riesigen Festival berichten möchte.
Nachdem ich auf dem gemütlichen Mittelaltermarkt ein wenig versackt bin und nette Gespräche geführt habe, stehe ich bei KATAKLYSM wieder vor der Bühne. Bereits auf dem Metalfest in Dessau habe ich gebannt der Death Metal Keule zugehört. Und genau wie auch dort schafft es Maurizio Iacono auch auf diesem Acker, die Meute zum Rasen zu bringen. Binnen kürzester Zeit hat der charismatische Frontmann alles im Griff, was sich vor der Bühne befindet. Trotz all der Hitze, die sich über den Norden Deutschlands ausbreitet schont sich kaum einer. Auf derartigen Todesstahl scheinen viele nur gewartet zu haben. „Illuminati“ und „Shadows And Dust“ wirkt förmlich wie Zündstoff, der eine explosive Stimmung erzeugt.
Als nächstes steht ein Ausflug in die Luft auf meinem persönlichen Plan. Ich habe mich für den Jägermeister Hochsitz angemeldet. Zu meinem Leidwesen habe ich furchtbare Höhenangst und bin jedes Mal davon überzeugt, dass ich sterben muss. Zum Glück ist das bisher noch nicht eingetreten und seitdem ich auf dem Rock Harz Festival 2011 Todesängste beim Flug mit dem Tragschrauber durchgestanden habe, bin ich eigentlich davon überzeugt, nun etwas mutiger zu sein. Gemeinsam mit den Jungs von SUIDAKRA lasse ich mich, tapfer grinsend, in dem Sportsitz festzurren. Als alle Passagiere verschnallt sind und die fliegende Theke abhebt, vergesse ich meinen Mut und meine Gesichtsfarbe am Boden. Blöd gelaufen. Ängstlich kralle ich mich an der Theke fest und gebe mein Handy weiter, damit dort wenigstens ein paar Bilder drauf sind. Ich habe nämlich plötzlich verlernt, wie man sich bewegt. Sogar das Jägermeister- Team hat Mitleid mit mir und gibt mir vier, anstatt zweier Getränke. Besser geht es mir danach zwar nicht, aber immerhin komme ich kurz darauf lebend auf dem Boden an.
Nun habe ich die Wahl zwischen finsterem Black Metal von MAYHEM unter der glühenden Nachmittagssonne und KNORKATOR. Zur Freude vieler Fans haben sich die Spaßköppe aus Berlin dazu entschlossen, ab sofort wieder gemeinsame Wege zu gehen. Welch ein Glück, denn ein wenig Ironie, Sarkasmus, Humor und Vulgarität hat noch niemanden geschadet. Stumpen, Alf Ator und Buzz Dee machen eine riesige fette Party. Ausnahmslos alle vor der Bühne befindlichen Menschlein sind dem Bann der Boygroup verfallen. Wahrscheinlich lag das an dem lilafarbenen, hautengen Anzug, der Stumpes Körper ziert. Kurz darauf pellt er sich jedoch aus seiner zweiten Haut und steht fortan im berühmten schwarzen Body vor den Fans, die er zum Huckepack-Pogo auffordert. Es bedarf keiner langen Spielzeit, um felsenfest davon überzeugt zu werden, dass KNORKATOR wieder voll da sind. Waren sie überhaupt jemals weg?!? Sowohl Band als auch Fans haben nichts verlernt. „Es kotzt mich an“, „Alter Mann“, „Ding Inne Schnauze“ und „Kurz und Klein“ funktionieren wie eh und je, auch wenn „Die Meiste Band der Welt“ sicherlich nicht für jeden das richtige ist. Ich habe jedenfalls gemeinsam mit tausenden anderen meinen Spaß. Diejenigen, die das nicht haben, sind wohl Black Metaller und stehen eh bei MAYHEM.
Mit reichlich Spaß in den Backen geht es weiter zu ICED EARTH. Ebenfalls von mir gespannt erwartet, suche ich ein Plätzchen, von dem ich auch als kleiner Mensch möglichst etwas sehen kann. Während „Burning Times“ und „Declaration Day“ quetsche ich mich noch ein Ründchen durch die Reihen, bevor ich wieder am altbewährten Platz zum Stehen komme. Ein wenig Melancholie liegt in der Luft. Mit ICED EARTH steht ein weiterer, schwerwiegender Abschied auf den Brettern des WOA. Zwar bleibt in diesem Fall die Band bestehen, aber dafür verabschiedet sich Sänger Matt Barlow von dem Leben als tourender Musiker, um mehr Zeit für seine Familie zu haben. Während diese Gedanken in mir aufkommen, bedauere ich seinen Ausstieg schon, denn Matt Barlow zieht einen auch heute wieder mit seiner tollen Stimme in den Bann. ICED EARTH präsentieren eine Setlist, wie ich sie mir für Festivals bitte immer wünsche. Voll mit Klassikern, die mitgesungen werden können und wollen. „Burning Times“, „Declaration Day“ und „I Died For You“ platzieren sich ausdrucksstark in der 60 minütigen Setlist. Eine Schande, dass man ICED EARTH unter diesen Umständen, mit 60 Minuten im Nachmittagsslot abspeist. Angeheizt von der tollen Atmosphäre ist die fröhliche KNORKATOR Stimmung einer zwar guten, aber dennoch nachdenklichen Stimmung gewichen. Als MATT BARLOW’s bester Freund auf die Bühne kommt, um ihm alles Gute zu wünschen, starten die unzähligen Fans mit „Barlow“-Rufen und bringen eine dicke Gänsepelle auf so manchen Körper. Matt Barlow ist schwer gerührt und kämpft nicht zu übersehen schwer mit den Tränen. Es ist alles andere als einfach, wenn man sich zwischen zwei Dingen entscheiden muss, die man von Herzen liebt.
Und kurz darauf wieder einmal mehr umgeswitcht. SEPULTURA stehen an, und irgendwie fällt es mir gerade gar nicht leicht, mich auf die Brasilianer einzulassen. Vor allem scheint es so zu sein, dass kurz darauf schon der nächste Abschied mit AVANTASIA vor der Türe steht. Das ist mir zu viel hin und her, weswegen ich mich für einen Moment von der Festivalarea zurückziehe. Ich fühle mich derzeit frisch wie Dörrobst und heute Nacht soll auch noch die Heimreise angetreten werden. Wenn das mal kein Grund ist, sich einfach mal nur ein wenig auszuruhen.
AVANTASIA locken mich dann doch wieder vor. Live höre ich mir die Metal Oper ganz gerne an, außerdem könnte es ja auch hier sein, dass man diese Kombination so zum letzten Mal zu Gesicht bekommt. Alle Musiker sind in irgendwelchen anderen Bands aktiv. Sei es der AVANTASIA Kopf Tobias Sammet, der sonst bei EDGUY singt, Bob Catley, der sonst die Stimme von MAGNUM ist oder irgendeiner der anderen, zahlreichen Musiker, die sich für AVANTASIA immer wieder mühevoll Zeit freischaufeln müssen. Das Publikum jubelt begeistert und erweist sich sogar als reichlich textsicher. Ständig kommen neue Akteure ins Spiel und bringen ihre durchweg wunderbaren Stimmen zum Vorschein. Leider muss ich gestehen, dass ich mir gar nicht merken konnte, wer wann zu welchem Lied auf die Bühne kam, um den Auftritt zu dem Erfolg zu machen, der er geworden ist. Wem die Neugierde allerdings zu groß ist und dies unbedingt wissen möchte, wird im Internet bestimmt noch reichlich Mitschnitte finden. Das ZDF hat den Auftritt von AVANTASIA nämlich aufgezeichnet und live übertragen.
Wesentlich weniger abwechslungsreich geht es auf dieser Bühne später mit MOTÖRHEAD weiter. Lemmy in allen Ehren. Ich mag MOTÖRHEAD wirklich gerne und sie sind definitiv Kult. Fakt ist allerdings auch, dass ich MOTÖRHEAD dieses Jahr bereits drei Mal live gesehen habe. Da die Veränderungen bei den Gigs äußerst minimal sind und ich demnach wohl keine fette Überraschungsshow verpassen würde, fällt die Wahl auf Zelt abbauen und Auto voll laden.
Die einzige Band, die mich heute noch wirklich interessiert, sind GHOST. Bis dahin gestehe ich es mir ein noch ein paar nette Gespräche mit lieben Bekannten zu führen, die ich wohlmöglich so schnell nicht wieder sehen werde.
In der Zwischenzeit hat es angefangen zu regnen. Und meine Freude, dass die okkulten Black Metaller im Zelt auftreten werden, steigert sich prompt. Die Band, über die so ziemlich nichts bekannt ist, hat in den vergangenen Monaten einen gewaltigen Aufstieg hinter sich gebracht. Allerdings polarisieren die Schweden enorm. Entweder lässt man sich in ihren Bann ziehen, oder man rennt vor ihnen davon. Mich haben GHOST auf einer Clubshow am Anfang des Jahres schwer begeistert. Zwar ist es auch hier einmal mehr so, dass ich den psychedelischen-doom-black-metal (oder wie auch immer man diese Musik bezeichnen mag) auf CD nur bedingt gerne höre, aber live lasse ich mir die Show nicht entgehen. Bald steigt mir der Duft von Weihrauch in die Nase, das Intro „Deus Culpa“ erklingt und der Sänger betritt im Papstgewand die Bühne. Die Weihrauchkugel schwingend folgen ihm bald die anderen, namenlosen Bandmitglieder, die in schwarze Gewänder gehüllt sind, die mich ein wenig an den Ku-Klux-Klan erinnern. Während des Gigs zieht ein ordentliches Gewitter über das Festival. Äußerst passend für den Auftritt einer solchen Band. Es regnet in Strömen und ein kleiner Fluss zieht sich urplötzlich durch das Zelt. „Death Knell“ und „Prime Mover“ sind zwei der Songs, die mich neben „Ritual“, dass für mich das letzte Lied für das diesjährige Wacken Open Air darstellt, immer wieder am meisten beeindrucken.
Auf dem Weg nach Hause bin ich einfach nur wie erschlagen. Ich bin unfassbar froh, dass ich nicht hinter dem Steuer sitze. Aber auch meine liebe Begleitung übermannt bald die Müdigkeit. Nach ungefähr 200 km beschließen wir, an einer Raststelle zu halten und eine Stunde zu schlafen. Als Beschäftigungstherapie soll uns danach ein zünftiges Menü von einer wohl bekannten und begehrten Fast-Food-Kette dienen. Allerdings trifft uns der Schlag, als mitten in der Nacht, irgendwo in der Mitte Deutschlands geschätzte hundert Metaller vor der Kasse stehen und darauf hoffen, bald an die Reihe zu kommen. Tja, Wacken ist halt überall. Sogar als wir unser Ziel erreicht haben, huschen noch die letzten Autos an uns vorbei, die komplett vollgestopft sind und die drei alles bedeutenden Buchstaben irgendwie auf der Windschutzscheibe prangen haben.
Unterwegs habe ich mir viele Gedanken darüber gemacht, ob ich nächstes Jahr wieder zum Wacken Open Air möchte. Auch während ich diesen verfluchten Bericht über einen unverzeihlich langen Zeitraum geschrieben habe, kam diese Frage immer wieder in mir auf. Es gibt sehr viele Dinge, die mich immer wieder zum WOA locken würden, egal wie das Billing ist. Es gibt allerdings auch immer mehr Dinge, die mich davon abhalten würden, auf dieses monströse Festival zu fahren. Aber so wie ich mich kenne, würde ich mich wieder genau in dasselbe Chaos stürzen.
Ich danke ganz herzlich der lieben Toni Gunner, die mir ihre tollen Bandfotos zur Verfügung gestellt hat!
Für weitere Fotos geht es hier entlang.
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